Wege vom Schatten ins Licht von Manuela Miedler

 

 

 

 

Die Autorin

Die diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester Manuela Miedler arbeitet als Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe und hat jahrzehntelange Erfahrung in der Betreuung, Begleitung und Beratung von Patienten und in der Ausbildung von Pflegepersonal.

Im Jahr 2002 wurde sie selbst nach einer Routineuntersuchung mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Die sportliche Kärntnerin durchlebte alle Facetten von Ängsten, Aggressionen, körperlichen und seelischen Schmerzen. Gleichzeitig lernte sie aus der Not Motivationstechniken und den effizienten Umgang mit den schulmedizinischen Ressourcen. Manuela Miedler ist heute gesund und schätzt diese Erfahrung als wertvollen Beitrag in ihrem Leben. Sie kann so mit einer unvergleichlichen Tiefe an Verständnis an diese Probleme herangehen. Manuela Miedler hält Seminare und Workshops zum Thema ab.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   9
Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10
 1 Von der Krise zur Chance . . . . . . . . . . .  13
 2 Die Wege vom Kampf zum Leben . . . . . . . . .  18
 3 Die Wege von der Selbstaufgabe zur Lernaufgabe  21
 4 Die Wege vom Schatten ins Licht  . . . . . . .  25
 5 Das Ziel Ihrer Reise . . . . . . . . . . . . .  27
 6 Vom „Krebspatienten“ zum Menschen, der
      an Krebs erkrankt ist . . . . . . . . . . .  30
 7 Begegnung mit Menschen, die
      an Krebs erkrankt sind  . . . . . . . . . .  34
 8 Medizin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38
 9 Schulmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . .  43
10 Komplementärmedizin  . . . . . . . . . . . . .  48
11 Nebenwirkungen der Chemotherapie . . . . . . .  58
12 Schmerzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  66
13 Angst  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  71
14 Aggressionen . . . . . . . . . . . . . . . . .  76
15 Selbstliebe  . . . . . . . . . . . . . . . . .  80
16 Lebenssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . .  88
17 Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  94
18 Ernährung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
19 Spiritualität  . . . . . . . . . . . . . . . . 108
20 Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
21 Die Kraft unserer Gedanken . . . . . . . . . . 123
22 Geduld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
23 Nachsorge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
24 Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
25 Annis Wege vom Schatten ins Licht  . . . . . . 140
26 Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
27 Hospiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
28 Neue Wege der Bestattung . . . . . . . . . . . 156
Ausklang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Weitere Informationen . . . . . . . . . . . . . . 159
Dank  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Hinweis: Die Arbeitsblätter zu allen Übungen finden Sie auch im DIN A4-Format
als PDF-Download unter der Webadresse: (im Buch)

Vorwort

Ich habe mich entschieden, ein eher persönliches Vorwort zu schreiben, das mehr mit mir als Mensch zu tun hat als mit meiner Funktion als Geschäftsführerin der Wiener Krebshilfe.

Zunächst einmal finde ich, dass Manuela Miedler selbst eines der besten Beispiele dafür ist, dass eine Krebserkrankung nicht das Ende von allem bedeuten muss, sondern Initialzündung zu einem Neubeginn sein kann. Zu einem Start in ein neues Leben, in das alle Erfahrungen, Gedanken und Gefühle mit einfließen, die man während der Phasen seiner Krebserkrankung erlebt. Dass Frau Miedler mittlerweile Buchautorin ist, hat auch etwas damit zu tun und mich persönlich spricht ihr vorliegendes - nunmehr bereits zweites - Buch sehr an.

Es ist ein Buch, das nichts verbirgt. Nicht die Schattenseiten der Erkrankung, nicht Gefühle des „Warum gerade ich?“, der Trauer oder des Zusammenbruchs oft vieler Lebensbereiche im Zuge der Erkrankung.

Es ist aber auch ein Buch, das Hoffnung macht. Das zeigt, dass sich das Leben dennoch lohnt. Dass es schön sein kann, reich und vor allem LEBENDIG!

Wenn Sie dieses Buch lesen, empfehle ich Ihnen, sich ausreichend Zeit zu nehmen, sich einen gemütlichen Platz in Ihrer Wohnung zu suchen und sich eine Tasse dampfenden Tees dazuzustellen. Das entspannt und ist ein guter Rahmen für die innere Reise, die Sie durch dieses Buch unternehmen werden.

Und ich glaube, dass Ihr Lebensgefühl nach der Lektüre von „Wege vom Schatten ins Licht“ einfach ein bisschen ein anderes sein wird.

Mag. Gaby Sonnbichler
Geschäftsführerin der Wiener Krebshilfe
1180 Wien, Theresiengasse 46

Einführung

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“

Hermann Hesse

Im Sommer 2007 habe ich mein erstes Buch für Menschen, die an Krebs erkrankt sind und neben der bestmöglichen medizinischen Behandlung selbst aktiv zu ihrer Heilung beitragen möchten, geschrieben. Für mich war „Vom Schatten ins Licht - Von der Diagnose Krebs zu neuer Lebensfreude“ eine Art „Reiseführer“ für Menschen, die ihre Route selbst planen wollen, für Menschen, die ihr Ziel aus den Augen verloren haben und nach einem Ausweg aus der Krise „Diagnose Krebs“ suchen.

Im März 2002 war die Welt für mich noch in Ordnung. Mein gut und straff durchorganisiertes und geplantes Leben verlief reibungslos. Alles stimmte: Beruf, Familie, zwei wunderbare Söhne, ein liebevoller Mann.

Es war an einem sonnigen Frühlingstag, als mein bisher glückliches Leben wie eine bunt leuchtende Seifenblase zerplatzte und sich in Nichts auflöste. Meine Gynäkologin teilte mir mit, dass an meinem Gebärmutterhals maligne (bösartige) Zellen festgestellt worden sind. Allein der Gedanke daran, dass ich an Krebs erkrankt war, umhüllte mich wie ein dunkler Schatten.

Das Wort „Krebs“ hatte die Macht mein Leben auf den Kopf zu stellen. Die Frage „Warum Ich?“ kreiste in meinem Kopf wie ein Karussell, von dem sich langsam die kleinen putzigen Ponys, die verträumte Prinzessinnenkutsche und das knallrote Feuerwehrauto lösten, bis nur mehr das nackte Drehgestell zurückblieb. Diese Vorstellung raubte mir beinahe meinen Verstand.

Auf die Frage „Warum bin ich krank?“ gab es viele Antworten.

Ich wollte aber nicht wissen, „was ich (vielleicht) falsch gemacht habe.“

Ich wollte nur wissen, was ich tun kann, damit ich wieder gesund werde.

Auf die Frage „Warum will ich wieder gesund werden?“ hatte ich viele Antworten, die mir Kraft gaben, den Weg vom Schatten ins Licht zu gehen.

„Wenn wir eine Situation nicht ändern können,
müssen wir uns selbst ändern.“

Viktor E. Frankl

Die Bewältigung der Krise Diagnose Krebs war für mich harte Arbeit. Jedes Mal wenn ich dachte, jetzt kann ich meine Situation annehmen, fiel ich wieder in ein tiefes schwarzes Loch. Es war eine sehr durchwachsene Zeit für mich, ich schwankte zwischen Hoffnung, Hoffnungslosigkeit, Trauer und Zorn. Voller Hoffnung und Vertrauen stellte ich mich meiner Aufgabe. Da ich mich psychisch sehr gut auf meine Operation vorbereitet habe und dank meiner guten körperlichen Verfassung, konnte ich mich sehr schnell erholen.

Während meiner Chemotherapie und Bestrahlung fühlte ich mich jedoch durch die unerträgliche Übelkeit ausgelaugt und kraftlos. Durch den Schatten der Müdigkeit und Verzweiflung verlor ich meinen Weg aus den Augen.

In dieser Verfassung sah ich im Juli 2002 die Sondersendung des ORF (des Österreichischen Rundfunks) über das Jahrhunderthochwasser in Österreich. Die Bilder der Verwüstung durch die Wasserfluten, die den Menschen ihre ganze Existenz wegspülten, gingen mir sehr nahe. Am Ende der Sendung wurden auch Fotos von Menschen gezeigt, die durch die Flut ums Leben gekommen waren. Ganz deutlich kann ich mich an jede Einzelheit dieser Sendung erinnern, wie ich alleine bei gedämpftem Licht vor dem Fernseher saß und meinen Tränen freien Lauf ließ. Durch diese Reinigung wurde mein Blick in meine Zukunft wieder frei und klar.

Ich konnte nun das Gefühl der Verzweiflung annehmen - endlich nahm ich auch meine Müdigkeit wahr. Und mir wurde bewusst, dass ich nun schon seit Mai sehr hart an meinem Gesundwerden arbeitete und meine Kraftreserven aufgebraucht waren. Bewusst ließ ich mich in das Gefühl des „Nicht-Mehr-Könnens“ fallen und gönnte mir Ruhe.

Ich schrieb mir meine Erfahrungen, Gedanken, Ängste und Empfindungen, von der Zeit der Diagnosestellung bis zur Behandlung und danach, von der Seele. So hatte ich eine zweite Möglichkeit an der Bewältigung meiner Erkrankung zu arbeiten und eröffnete mit meinem ersten Buch „Vom Schatten ins Licht - Von der Diagnose Krebs zu neuer Lebensfreude“ vielen Leserinnen und Lesern die Chance, an meinen Erfahrungen ihre eigene Situation zu reflektieren. Und ihren Weg vom Schatten ins Licht, von der Krise zur Chance, vom Kampf zum Leben und von der Selbstaufgabe zur Lernaufgabe zu gehen.

Ich sehe meine Aufgabe darin, den Menschen, die an Krebs erkrankt sind, einen Weg zu zeigen, trotz Diagnose Krebs einen Regenbogen am Horizont zu erkennen. Als ein eher seltenes, beeindruckendes und weltweit bekanntes Naturschauspiel ist der Regenbogen ein wichtiger Bestandteil zahlreicher Mythen und Religionen. Die Regenbogenfahne zum Beispiel ist ein in der Geschichte immer wiederkehrendes Symbol, das meist Vielfalt zum Ausdruck bringt.

Bevor wir uns am Anblick dieses Naturschauspiels - des Regenbogens - erfreuen können, gibt es aber meist ein gewaltiges „Donnerwetter“. Ein heftiges Gewitter macht uns Angst, da wir uns diesen Naturgewalten ausgeliefert fühlen. Aber wir können viel für unsere Sicherheit während eines Gewitters tun. Damit wir nicht direkt vom Blitz getroffen werden, suchen wir Schutz in Gebäuden oder Fahrzeugen, vermeiden den Aufenthalt in Gewässern und Schwimmbecken und die unmittelbare Nähe von Bäumen und Masten. Auf offenem Gelände stellen wir unsere Füße zusammen, gehen in die Hocke, ziehen unseren Kopf ein und halten mit unseren Armen unseren Körper fest.

Aber durch die Entladung der aufgestauten Energie kommt es meistens zu einer angenehmen Abkühlung. Und als Geschenk erhalten wir von Mutter Natur den wunderbaren Anblick eines Regenbogens, der am gesäuberten, geklärten Horizont strahlt.

Mein Ziel ist es, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einen Weg zu zeigen, wie Sie statt nur Schwarz oder Weiß, Gesund oder Krank, Schulmedizin oder Komplementärmedizin auch das Dazwischen und das Gemeinsame erkennen.

Der Regenbogen ist der Übergang zwischen Gewitter und abgekühlter frischer Luft. Nehmen Sie sich doch bitte einmal die Zeit und betrachten Sie die wunderschönen Farben eines Regenbogens. So wie jeder Regenbogen einzigartig ist, sind auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, einzigartig.

Ich wünsche Ihnen auf Ihrer Reise von der Diagnose Krebs zu neuer Lebensfreude viel Kraft, Liebe und eine große Portion Urvertrauen, damit Sie auch immer das Heilgebliebene vor Augen haben und nie vergessen, dass Sie Anspruch auf die beste Betreuung haben.

Manuela Miedler

1 Von der Krise
zur Chance

„Diese plötzliche Verlagerung aller Kräfte in uns, diese
Begegnungen mit der Seele geschehen nur nach vielen Krisen;
die meisten Künstler vermeiden diese, indem sie sich ablenken,
und das ist der Grund, warum sie es nie fertig bringen,
zum Zentrum ihrer Produktivität zurückzukehren, von dem
sie im Moment ihres reinsten Impulses ausgegangen sind.“

Rainer Maria Rilke

Diagnose Krebs - eine Chance?

Schattenseiten gehören zum Leben. Wenn Krebs diagnostiziert wurde, ist die oberste Priorität, die beste Behandlung zu finden, die unsere Medizin anzubieten hat. Allerdings gehört zur Heilung mehr, als nur vom Arzt zu verlangen: „Machen Sie mich wieder gesund!“

Die wichtigsten Fragen sind nun:
„Warum will ICH wieder gesund werden?“
„Was kann ICH dazu tun?“

Statistiken sind eine Ansammlung von Zahlen! Sie sind einzigartig und Ihr Schicksal ist nicht vergleichbar mit anderen. Betrachten Sie die Krankheit als Partner, der Ihnen hilft herauszufinden, was Ihnen wirklich fehlt.

Kommen Sie zu sich

Neben der bestmöglichen medizinischen Behandlung ist Ihr persönlicher Weg zu sich selbst entscheidend. Befassen Sie sich mit Ihren Ängsten, Aggressionen und Wünschen. Eine innere Haltung von Hoffnung, Vertrauen und Zuversicht, Ihre Einstellung und Empfindung zu sich, Ihrem Umfeld und Ihrer Erkrankung - diese Faktoren beeinflussen Ihren Heilungsprozess.

Stellen Sie sich auch die Frage: „Habe ICH mir selbst genug Liebe, Fürsorge und Respekt zukommen lassen oder waren immer nur die Bedürfnisse anderer wichtig?“ Jetzt sind Sie die wichtigste Person, denn Sie wollen ja wieder gesund werden.

Einlassen - Loslassen - Zurücklassen

Das sind nun die Themen, die Sie dank ihrer Erkrankung einmal unter die Lupe nehmen dürfen.

Der deutsche Pfarrer Rüdiger Maschwitz, schreibt in seinem Buch „Kooperiere mit dem Unvermeidbaren - das Geheimnis gelassener Menschen“:

Der Wert, die Würde und die Einzigartigkeit des Menschen bestehen also in seiner
Unvollkommenheit und seiner Nichtperfektion. Sein Umgang mit Leid und
Schmerz, mit Glück und Freude, ebenso mit Niederlagen und Verlusten machen
seine Einzigartigkeit aus. Vielleicht erleichtert uns dieser Gedanke auf zwei Ebe-
nen. Auf der ersten Ebene wird deutlich, dass unsere Narben, Verwundungen und
Verletzungen uns von den anderen unterscheidbar machen und gerade diese Prä-
gungen tiefgreifend und bestimmend sein können. In den meisten Fällen neigt der
Mensch dazu, dies negativ zu sehen: Hätte ich diese Verwundungen und bitteren
Erfahrungen nicht, dann ginge es mir gut. Sicherlich ginge es diesem Menschen
anders. Er wird viel Energie verbrauchen, damit diese Illusion weiterhin besteht. Es
gibt kein Leben ohne Krankheit, ohne Schmerz und Leid. Diese Dinge mögen sehr
ungleich verteilt sein oder sogar ungerecht. Aber Krankheit, Leid und Schmerz
gehören zum Unvermeidbaren des Lebens. Es liegt im Wesen des Menschen,
dass er auch krank wird, nichts ist perfekt. Leid gehört zum Leben. Wer das Unver-
meidbare erkennt, sieht auch die Möglichkeit der Veränderung.
(
1 vgl. Rüdiger Maschwitz: Kooperiere mit dem Unvermeidbaren, S. 46)
 

Durch einen Befund erfahren wir schwarz auf weiß, dass „Etwas“ in unserem Körper nicht der Norm entspricht. Wir fühlen uns schuldig etwas falsch gemacht zu haben. Laufend stellen wir uns die Frage „Warum gerade Ich?“ Rund um uns sind die Menschen auf den ersten Blick alle gesund und glücklich. Wir glauben, dass nur uns dieses ungerechte Schicksal getroffen hat.

Das Schicksal wollte es, dass Prof. Dr. Viktor E. Frankl einige Jahre seines Lebens im Konzentrationslager verbringen musste. Er schrieb in der Gefangenschaft folgende Worte:

„Es gibt etwas, was Ihr mir nicht nehmen könnt:
Meine Freiheit, zu wählen, wie ich auf das, was ihr mir antut, reagiere.“

Jeder Verlust ist der erste Schritt zu einem Neubeginn.

Verluste sind unvermeidlich und notwendig, damit wir klar Schiff machen können. Sie zwingen uns dazu zu erkennen, dass das, woran wir uns geklammert haben, uns nicht richtig stützen und stärken konnte. Wir sind aufgefordert zu wachsen, zu reifen und weiterzugehen. Verlust ist der erste Schritt in Richtung Neubeginn. Trauer ist der zweite Schritt, wenn wir aber nicht aufhören zu trauern, wenn wir uns an das Vergangene klammern, wenn wir uns in Depressionen flüchten, nur um nicht voranschreiten zu müssen, verbauen wir alle Chancen auf einen Neubeginn. Aber bedenken Sie bitte, erst wenn wir die Situation angenommen haben, ist die Zeit reif für neue Wege. Ich möchte Ihnen helfen, das Heilgebliebene wieder in Ihr Blickfeld zu rücken, und damit auch für Sie sichtbar zu machen.

Susanne, 43
Susanne ist stolze Mutter zweier bildhübscher Zwillingstöchter. Bei einer ihrer regelmäßigen und pünktlichen Kontrolluntersuchungen wurden in ihrem Körper Krebszellen festgestellt. Nachdem sie den Schock überwunden hatte, konnte sie ihre Erkrankung bald gut annehmen und unterzog sich voll Zuversicht und Hoffnung der Operation und nachfolgenden Therapien.
Ich lernte Frau Susanne als eine sehr positive, starke Frau kennen, die es gewohnt war, in jeder Situation ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Zielbewusst führte sie Regie über ihr Leben.
Auf die Frage, wozu es sich lohnte gesund zu werden, war ihre Antwort: Wenn ich mich von der Chemotherapie erholt habe, nehmen wir uns endlich wieder Zeit für uns, mein Mann und ich fahren nach Monte Carlo. Ein Reiseziel, das sie schon sehr oft verschieben musste - die Firma, dann die Kinder und zuletzt die kranke Schwiegermutter. Aber diesmal war es so weit. Während der Chemotherapie verwandelte sich ihr Krankenzimmer zu einem Reisebüro.
Da Frau Susanne meine Begleitung nicht benötigte, trennten sich unsere Wege. Ein halbes Jahr später, an einem verregneten, nebeligen Herbsttag, traf ich Frau Susanne - aber es war nicht mehr dieselbe Frau, die ihr Leben noch vor einem halben Jahr so zielstrebig in die Hand genommen hatte.
Susanne hatte sich von der Chemotherapie, die sie mittels Infusionen verabreicht bekommen hatte, und der radioaktiven Bestrahlung des Bauchbereichs sehr rasch erholt. Sie war so voller Lebensfreude, sah ihre Erkrankung auch als Chance wieder mehr Zeit mit ihrem Mann zu verbringen. Als sie ein kleines romantisches Hotel mit Blick auf den Hafen buchen wollte, bemerkte sie es zunächst gar nicht, dass ihr Mann ihr aus dem Weg ging und verhältnismäßig viele Abendtermine hatte. Sie war so mit der Urlaubsplanung beschäftigt, dass ihr ebenso das veränderte Verhalten ihrer Freundin nicht auffiel.
Die Sommertage vergingen und die Reiseprospekte von Monte Carlo wanderten in eine Schublade. Obwohl der Alltag wieder von Susanne Besitz ergriff, nahm sie sich Zeit um nachzuspüren, wie es ihr so geht - und da bemerkte sie die Kälte, die sich zwischen ihr und ihrem Mann breit gemacht hatte. Er war nicht mehr greifbar und sie bemerkte, dass sie schon lange nicht mehr die Regie führte, sondern zu einer austauschbaren Nebendarstellerin geworden war.

Susanne
„Ich fühlte mich so leer und kraftlos. Mir wurde bewusst, so kann es nicht mehr weitergehen, aber ich hatte keine Alternative. Wie früher wollte ich mit meiner besten Freundin über meine Probleme reden, doch sie schlug mir fast die Türe vor der Nase zu, sie hatte plötzlich keine Zeit für mich. Körperlich war ich laut meinen Befunden gesund, fühlte mich aber sterbenskrank.
Mit verschleiertem Blick schleppte ich mich ohne Ziel durch die Gegend und erledigte den Alltag.
Als ich dann meinen Mann mit meiner Freundin in einer sehr intimen Situation überraschte, glaubte ich zu träumen.
Ich war so glücklich, dass ich die Operation so gut überstanden habe, aber jetzt hat das Leben für mich einfach keinen Sinn mehr. Die fürchterliche Enttäuschung und der gemeine Betrug - wäre ich doch bei der Operation gestorben.“

In der Situation der tiefen Verzweiflung und Verletzungen ist es als Angehöriger oder Helfer oft sehr schwer, nur da zu sein und den Schmerz aushalten zu können.

In meiner Funktion als Bindeglied zwischen Patienten, Angehörigen und sämtlichen Gesundheitsberufen sind mir meine Grenzen sehr wohl bewusst, deshalb bestärkte ich Frau Susanne, nichts zu überstürzen und ihre akute Krisensituation der Verletzung und Verlassenheit mit einer sehr einfühlsamen Psychotherapeutin aufzuarbeiten, damit sie gestärkt die nächsten Schritte mit ihrer Anwältin durchführen konnte.

„Eine Enttäuschung ist das Ende einer Täuschung.“
Unbekannt

Ich glaube auch, dass viele Menschen oft zu schnell und möglichst schmerzfrei alles Unangenehme aus dem Weg räumen wollen. Krebszellen müssen so schnell wie möglich weggeschnitten werden, Eheprobleme glaubt man/frau mit einer Scheidung beenden zu können. Ich habe oft den Eindruck, jede Möglichkeit, sich auf das Thema einzulassen, wird einfach ignoriert.

Frau Susanne distanzierte sich emotional von ihrem Mann, packte die Gelegenheit beim Schopf und verbrachte viel Zeit damit, sich selbst besser kennen zu lernen. Da ihr auch ihre beste Freundin abhanden gekommen war, war sie das erste Mal in ihrem Leben vollkommen auf sich allein gestellt. In der Zeit der Einsamkeit tastete sie sich behutsam an ihre Verletzungen heran.

„Chancen sind wie Sonnenaufgänge - wer zu lange wartet, verpasst sie.“
Unbekannt

2 Die Wege vom Kampf
zum Leben

„Der klügste Krieger ist der,
der niemals kämpfen muss.“

Sunzi (um 500 v. Chr.)


Immer wieder lese und höre ich von Menschen, die den Kampf mit der Diagnose Krebs gewonnen haben. Deshalb möchte ich kurz auf die reale Kriegsführung eingehen.

In Flandern, bekanntlich einem der Brennpunkte heftigster Kämpfe im Ersten Weltkrieg, mitten in Schlamm, Verzweiflung, Giftgas, Blut und Tod, bildete sich von selbst, ganz ohne menschliche Absicht, immer wieder etwas heraus, das der Historiker Ashworth das „System des Leben und Leben lassens“ nennt.

Nicht selten waren die feindlichen Gräben nur 15 Meter von den eigenen entfernt, und es wäre ein Leichtes gewesen, sich gegenseitig ständig mit Handgranaten zu dezimieren. Nicht nur dass dies wochenlang nicht der Fall war, sondern es entwickelten sich zwischen den beiden Seiten geradezu freundschaftliche Gefühle, zum Beispiel in der Weihnachtszeit.

Oft kam es an langen Frontabschnitten zu völliger Ruhe, und langsam bildeten sich auch andere, ganz spontane, aber von beiden Seiten respektierte Nichtangriffsrituale, wie zum Beispiel das gegenseitige Ignorieren zweier feindlicher Spähtrupps, die im nächtlichen Niemandsland fast übereinander stolperten. Die Reaktion der Armeeführung war das Verbot jeglichen Einverständnisses mit dem Feinde. Gegen jedes Zuwiderhandeln war mit strengsten Disziplinarverfahren vorzugehen.

Die Antwort auf diese versuchte Patentlösung war das manichäische Dilemma. Entweder sie befolgten die Befehle von oben und schossen auf den Gegner, wann immer er sich zeigte, setzten sich aber damit der sofortigen Vergeltung für diesen Bruch des stillschweigenden Nichtangriffspaktes aus. Oder sie respektierten weiterhin den inoffiziellen Waffenstillstand und riskierten damit, vor ein Kriegsgericht zu kommen. Das sich aus diesem Dilemma spontan ergebende tertium war die Wiederentdeckung eines bewährten Rezeptes aus den Zeiten des spanischen Weltreichs, wo man in den überseeischen Besitzungen auf die oft ganz unsinnigen Befehle aus dem Escorial nach dem Rezept „Se obedece, perno no se cumple“ (man gehorche, aber man führt die Befehle nicht aus) reagierte. (vgl. Paul Watzlawick: Vom Schlechten des Guten, S. 62)

Die manichäische These besagt, dass es in allen Lebenslagen nur zwei Möglichkeiten gibt: Gewinnen oder Verlieren.

Ich bin der festen Meinung, dass es mindestens noch zwei, wenn nicht sogar mehr Möglichkeiten bzw. Lebenseinstellungen gibt, wie zum Beispiel:

„Das Beste aus der Situation zu machen“
„Das Annehmen der Gegebenheiten“

Versuchen Sie doch einmal, Ihre Erkrankung nicht als Ihren Feind zu sehen, den Sie bekämpfen müssen, sondern als eine liebe Freundin, die Ihnen helfen kann herauszufinden, was Ihnen wirklich fehlt.

Ich weiß, dass ich gerade in der Situation, wenn die Diagnose Krebs im Spiel ist, sehr viel von Ihnen verlange. Es kann auch sein, dass Sie sich insgeheim denken, auf so eine Freundin kann ich verzichten. Ist Ihnen eine Freundin lieber, die immer nur das sagt, was Sie von ihr hören wollen und hinter Ihrem Rücken über Sie schimpft? Oder ist Ihnen doch eine Freundin lieber, die Ihnen, ohne um den Brei herumzureden, Ihre Meinung sagt.

Kennen Sie das Sprichwort: Kinder und Narren sagen immer die Wahrheit? Ihr Körper sagt Ihnen auch die Wahrheit. Ihre Krebszellen sind ein Teil von Ihnen, wenn Sie versuchen, sie mit allen Mitteln zu bekämpfen, um sie nur möglichst schnell los zu werden - so bekämpfen Sie sich im Grund selbst. Ich habe Menschen erlebt, die haben einen ausgeklügelten Krieg gegen ihre Krebszellen geführt, alles um sie herum drehte sich nur mehr um Blutbefunde, Röntgenbilder, ihre Krebszellen bestimmten ihr Leben.

Ich durfte auch Menschen begegnen, die sich mit ihren Krebszellen arrangierten. Sie ließen ihr Leben nicht von den Krebszellen bestimmen, sondern sie bestimmten ihr Leben. Und wenn gewisse Blutwerte nicht der Norm entsprachen, so waren sie kurz enttäuscht, fühlten sich aber nie als Verlierer oder gar Versager.

Karin, 50
„Erst durch die Diagnose Krebs musste ich mir eingestehen: ‚Du kannst noch so hart arbeiten und verbissen deinen Weg gehen, aber es ist einfach nicht genug.‘ Erst als ich kapitulierte und nicht die starke Frau sein konnte, löste sich in mir ein unglaublicher Druck. Ich war mein Leben lang stark, mein Leben war geprägt vom Kampf, den ich auch meistens gewann. Ich wusste genau, was ich wollte, plante mein Leben, verfolgte meine Ziele und ließ mich von Nichts und Niemandem davon ablenken.
Mein Start war nicht sehr rosig, ich wurde in sehr ärmliche Verhältnisse hineingeboren. Sehr früh ging ich von zu Hause weg und arbeitete Tag und Nacht an meiner Karriere, die mich in die oberste Chefetage eines sehr großen Österreichischen Unternehmens brachte. Doch so hoch oben ist die Luft sehr dünn. Die ersten Zeichen meines körperlichen Unwohlseins ignorierte ich vollkommen.
Schwächen ließ ich weder bei meinen MitarbeiterInnen und schon gar nicht bei mir gelten. Als ich dann während einer Vorstandssitzung mein Bewusstsein verlor und mit Blaulicht ins nächste Krankenhaus eingeliefert wurde, wurde mir bewusst, wie verletzlich und angreifbar ich eigentlich war. Die kurz aufflackernden Kampfattacken gegen mich, meine Krebszellen und die übrige Welt scheiterten an meiner Schwäche.
Die Schwäche zwang mich zum ersten Mal in meinem Leben in die Knie. Zum Innehalten, meine Arbeit zu delegieren, Vertrauen in die behandelnden Ärzte aufzubauen, den Schmerz und die Schwäche zuzulassen.
Überwältigt von der Anteilnahme meiner Familie, meiner Kollegen und Kolleginnen gelang es mir zum ersten Mal in meinem Leben, mich fallen zu lassen und das Beste aus der Situation zu machen. Auch die selbst gekochte Hühnersuppe meiner Mutter wirkte wahre Wunder. Ich erholte mich sehr rasch und konnte das Krankenhaus sehr bald verlassen, ging aber nicht wie gewohnt sofort ins Büro sondern in Krankenstand und ließ mich weiter von meinen Eltern umsorgen.“

„Dass wir geschaffen sind, das Unfassbare zu fassen
und das Unerträgliche zu ertragen - das ist es,
was unser Leben so schmerzvoll und was es zugleich so unerschöpflich macht.“

Arthur Schnitzler

3 Die Wege von der Selbstaufgabe
zur Lernaufgabe

„Jeder von uns hat etwas Unbehauenes, Unerlöstes in sich,
daran unaufhörlich zu arbeiten
seine heimlichste Lebensaufgabe bleibt.“

Christian Morgenstern


Ich weiß nur zu gut aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn einem die Diagnose Krebs ins Gesicht geschleudert wird. Verzweiflung, Nicht-Wahrhaben-Wollen, Schuldgefühle und Fluchtgedanken nehmen unsere Gedanken in Besitz. Es gibt die Möglichkeit der Vogelstraußpolitik: nur nicht nachdenken, schon gar keine Eigeninitiative ergreifen. Oder den schwierig erscheinenden Weg des „Lernens“ einzuschlagen.

Laut Duden ist das Wort „lernen“ mit den Wörtern „lehren“ und „Liste“ verwandt und gehört zur Wortgruppe von „leiste“, das ursprünglich „einer Spur nachgehen, nachspüren, schnüffeln“ bedeutet.

Eine Möglichkeit eine Lernaufgabe zu erkennen, ist es, das „Warum?“ durch ein „Wozu?“ zu ersetzen.

Mit der Frage „Warum?“ wird nach einem Schuldigen gefragt.
Mit der Frage „Wozu?“ wird nach einem Ziel gefragt.

Wenn ich nur meinen Kopf wie ein Strauß in den Sand stecke, würde ich bestenfalls die Sandkörner in meiner Nase, meinen Augen und eventuell zwischen meinen Zehnen spüren. Wenn ich jedoch nachspüre, wobei mir die Diagnose Krebs hilft etwas zu lernen, kann es gut sein, dass ich so allerhand Vergessenes oder Verdecktes in meinem Körper erspüre.

Aber glauben Sie mir, es ist nur der Anfang, der uns verunsichert. Außerdem sind wir ja im Erlernen von Geburt an Profis. Bereits bei unserer Geburt mussten wir uns durch den engen Geburtskanal pressen. Obwohl wir nicht wussten, was uns auf der anderen Seite erwartete, verließen wir unser wohliges geschütztes Plätzchen im Schoße unserer Mutter.

Bei unseren ersten Gehversuchen erahnten wir sicher den unbeschreibbaren Nutzen von allen Vieren, zur aufrechten Haltung und die daraus resultierenden Fortbewegungsmöglichkeiten in weit höherer Geschwindigkeit. Obwohl uns diese Zeit viele Schrammen und Stürze bescherte, gingen wir alle diesen Weg. Anfangs zwar auf wackeligen Beinen.

Die meisten von uns, nehme ich zumindest an, haben auch ihre Trotzphase und Pubertät hinter sich gelassen. Einige befinden sich nun in der Phase der Lebensmitte, aber auch diese Phase werden sie hinter sich lassen und sich neuen Aufgaben zuwenden.

Die sechs Hilfen zur Haltungskorrektur
bei Leid-, Schuld- und Todessituationen, die statt zur Erstarrung
zur Sinnorientierung verhelfen

(Von Prof. Elisabeth Lukas - Schülerin von Prof. Dr. Viktor E. Frankl)

  1. Dem Leben, wie es ist, ins Gesicht sehen.
  2. Trotz des wahrgenommenen Negativen ein Bestes aus der Situation herausschlagen.
  3. Besinnung auf die eigenen Fähigkeiten, die immer noch vorhanden und zu entwickeln sind.
  4. Die Kompetenz, „verlieren zu können“ rechtzeitig lehren und lernen.
  5. Besinnung auf die Absenz von Übeln und nicht bloß die Präsenz von Übeln.
  6. Daran glauben, dass alles einen verhüllten, tieferen Sinn hat.

Ich weiß, dem Leben ins Gesicht zu sehen ist nicht immer einfach, aber lohnenswert, und wir müssen es auch nicht sofort und immer tun. Manchmal lösen sich Dinge von selbst. Nur wenn Sie gerade von Ihrer Diagnose Krebs erfahren haben, dann ist es an der Zeit die Diagnose auch anzunehmen. Viele meiner KlientInnen litten in dieser Zeit unter großen Schuldgefühlen. (In der Veterinärmedizin sprechen Tiere, die an Krebs erkrankt sind, sehr gut auf die Therapie an, denn sie kennen keine Schuldgefühle.)

Wenn Sie Ihre Schuldgefühle abgelegt haben, die Frage „Warum?“ durch die Frage „Wozu?“ersetzen, werden Sie auch sehr bald das Heilgebliebene in Ihrem Leben sehen und erkennen, dass Sie viele verborgene Talente haben, die Ihnen helfen, die Diagnose anzunehmen, loszulassen und sich auf das Leben mit Dankbarkeit einzulassen.

Trotz des wahrgenommenen Negativen ein Bestes aus der Situation herauszuschlagen, ist viel leichter gesagt als getan. Aber auch in diesem Punkt, haben wir die Möglichkeit, uns als Opfer zu fühlen und uns selbst am meisten zu bemitleiden, oder unsere Gestaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen und unser Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Besinnung auf die eigenen Fähigkeiten, die immer noch vorhanden und zu entwickeln sind wäre jetzt gut. Gerade wenn Sie an der Diagnose Krebs erkrankt sind, haben Sie nun die Möglichkeit Ihre Stärken wahrzunehmen.

Die Kompetenz „verlieren zu können“ rechtzeitig lehren und lernen, zeigt uns, dass unsere Lebenszeit auf diesem Planeten Erde begrenzt und kostbar ist. Daher sollten wir sie genießen und die gegebene Zeit jeden Tag aufs Neue nutzen.

Die Besinnung auf die Absenz von Übeln und nicht bloß die Präsenz von Übeln zeigt Ihnen auch die Sonnenseiten Ihres Lebens.

Daran glauben, dass alles einen verhüllten, tieferen Sinn hat, ist wohl eine der schwersten Aufgaben in unserem Leben.

Ich glaube, jeder Mensch hat das angeborene Bedürfnis Probleme zu lösen und Fragen zu beantworten.

Lernen

Laut Duden versteht man unter Lernen den absichtlichen und den beiläufigen, individuellen oder kollektiven Erwerb von geistigen, körperlichen oder sozialen Kenntnissen und Fertigkeiten oder Fähigkeiten. Aus lernpsychologischer Sicht wird Lernen als Prozess der relativ stabilen Veränderung des Verhaltens, Denkens oder Fühlens aufgrund von Erfahrungen oder neu gewonnenen Einsichten aufgefasst.

Die drei Grundarten des Lernens

Lernen durch Nachahmung

Jedes Kind ist zunächst darauf angewiesen, gewisse Verhaltensweisen anderer nachzuahmen, ohne anfangs den Sinn dieses Verhaltens erkennen zu können. Nun ist es jedoch nicht möglich, jemanden hundertprozentig nachzuahmen, und noch weniger ist es möglich, ihn auf diese Weise in seiner Entwicklung, seinem Wissen und Können zu überholen. Gäbe es nur diesen Weg zu lernen, so nähme das Wissen ständig ab.

Lernen durch Versuch, Irrtum und Erfolg

Der amerikanische Psychologe Edward Lee Thorndike (1874-1949) hat mit dieser Art zu lernen bahnbrechende Versuche gemacht. Er steckte eine Katze in einen Käfig und stellte Futter davor. Natürlich versuchte die Katze das Futter zu erreichen, und musste hierzu einen Weg finden, aus dem Käfig herauszukommen. Sie machte zunächst eine Reihe von Versuchen (Versuchsphase), von denen viele fehlschlugen (Irrtumsphase), bis endlich ein Versuch zum Erfolg führte (Erfolgsphase). Die Katze erkannte, wie sie den Käfig jederzeit verlassen konnte, und sie fand den Weg umso schneller, je schmackhafter das Futter oder je größer ihr Hunger (Motivation) war. Außerdem fand sie den Weg umso leichter, je häufiger der Versuch wiederholt wurde.

Lernen durch Erkenntnis

Bei dieser Art des Lernens bedarf es keines Versuches mehr; vielmehr genügt es, die Möglichkeiten theoretisch zu durchdenken, um den besten Weg zur Lösung zu finden. Konfuzius sagt: „Der Normale lernt aus seinen Fehlern, der Kluge lernt aus den Fehlern der anderen, der Dumme lernt nicht einmal aus seinen eigenen Fehlern.“

Wir alle benutzen ständig sämtliche drei Grundarten des Lernens. Mit zunehmender geistiger Reife jedoch stützen wir uns mehr und mehr auf die dritte Art, das Lernen durch Erkenntnis. (vgl. Kurt Tepperwein: Die Kunst mühelosen Lernens, S. 29)

4 Die Wege
vom Schatten ins Licht

Ich find’, jede Beleuchtung ist unangenehm.
Wenn man jemanden hasst, ist man froh,
wenn man ihn nicht sieht; wozu die Beleuchtung?
Wenn man jemanden liebt, ist man froh,
wenn einen d’andren Leut’ nicht sehn; wozu die Beleuchtung?“

Johann Nepomuk Nestroy


Wo Licht hinfällt, da entsteht auch Schatten; sieht man Schatten, ist auch eine Lichtquelle auszumachen. Hell und dunkel bedingen einander, gehören zusammen.

Im Leben gibt es immer zwei Seiten, die im Endeffekt doch zu einem Ganzen werden. Es gibt den Tag und die Nacht, es gibt die Ebbe und die Flut, es gibt die Geburt und den Tod.

Ich habe das Gefühl, dass alles, was nicht Spaß macht, sofort ignoriert oder ausgeschalten werden muss. Seit der Erfindung des elektrischen Lichtes gelingt es uns ja auch recht gut, die Nacht zum Tag zu machen. Und wenn uns etwas nicht in unseren Kram passt, lassen wir es wegrationalisieren, wegspritzen, wegschneiden.

Machen Sie Licht

Sie werden nachts von einem Geräusch geweckt, etwas ist heruntergefallen und zerbrochen oder jemand ist hereingekommen. Stürzen Sie dann einfach so in die Dunkelheit? Nein, Sie wissen, dass dies zu gefährlich ist. Sie machen zuerst das Licht an, damit Sie etwas sehen, und dann handeln Sie.

In jeder Lebenssituation ist es notwendig, zunächst Licht zu machen, das heißt, sich zu konzentrieren und zu sammeln. Ohne dieses Licht irren wir hin und her, klopfen an mehrere Türen und versuchen alle möglichen Mittel einzusetzen, oder wir lassen andere über unser Leben bestimmen.

Wenn Sie an Krebs erkrankt sind, dann machen Sie doch einmal Licht in Ihrem Leben! Ich muss Sie aber warnen, dieser Schritt hat oft schwerwiegende Folgen. Sie verbringen zum Beispiel einen romantischen Abend zu zweit bei Kerzenlicht und fühlen sich wie im siebten Himmel, alles scheint einfach perfekt zu sein. Bei Tageslicht entpuppt sich aus dem charmanten und einfühlsamen Gegenüber oft das genaue Gegenteil.

Bei Licht sehen wir vieles, was wir vielleicht nicht sehen wollen. Viele Menschen, die an Krebs erkrankt sind, fragen sich in dieser Zeit: Habe ich bisher mein Leben gelebt oder habe ich nur funktioniert? War ich immer für andere da, nur für mich hatte ich nie Zeit? War ich jemals mit mir zufrieden?

Im Schatten seines Baumes

Nichts ersehnt der Mensch heute mehr, als dass er zur Ruhe kommt, dass er nicht äußere, sondern auch innere Ruhe findet. Er leidet an der Unruhe unserer Zeit, am Lärm, der ihn umgibt, an der Hektik, die ihn zu Tode hetzt. Aber in seiner Sehnsucht nach wirklicher Ruhe leidet der Mensch zugleich an seiner Unfähigkeit, wirklich ruhig zu werden. Die wenigen Augenblicke, die er sich gönnt, um einmal von allem abzuschalten, führen ihn nicht zur Ruhe, sondern konfrontieren ihn mit dem inneren Lärm, mit seinen lauten Gedanken, seinen Sorgen, seinen Ängsten, seinen Schuldgefühlen, seinen Ahnungen, dass sein Leben wohl doch nicht so läuft, wie er sich es einmal erträumt hat. Und so läuft er vor diesen unangenehmen Augenblicken der Stille davon und betäubt sich wieder mit Lärm, der von allen Seiten auf ihn einströmt. Er flieht wieder in die Beschäftigung, um seiner so unbequemen Wahrheit aus dem Weg zu gehen.
Wir brauchen den Baum, in dessen Schatten wir ausruhen können, ohne von unserem Schatten geängstigt zu werden. Wir brauchen Gott, in dessen Schutz wir geborgen sind, in dessen Liebe wir erahnen dürfen, dass wir bedingungslos angenommen sind, dass alles in uns sein darf, auch die Unruhe, auch die quälenden Sorgen und Ängste. Weil vor Gott alles sein darf, weil wir vor Gott alles zeigen dürfen, was in uns ist. So können wir uns im Schatten seines Baumes niederlassen und die wahre Ruhe finden, nach der wir uns alle so sehr sehnen.

Anselm Grün
(vgl. Anselm Grün: Herzensruhe - Im Einklang mit sich selber sein, S. 158)

5 Das Ziel
Ihrer Reise

„Der echte Reisende ist immer ein Landstreicher,
mit den Freuden und Versuchungen und der Abenteuerlust.“

Konfuzius


Laut Duden bezeichnet der Begriff Ziel einen in der Zukunft liegenden, erstrebenswerten und angestrebten Zustand (Zielvorgabe).

Sie haben gerade erfahren, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Sicher ist Ihr Ziel wieder gesund zu werden. Egal, ob Sie auf Reisen gehen, eine Blume pflanzen oder Lebensfreude trotz der Diagnose Krebs erlangen wollen, Sie brauchen immer eine Vision, ein Ziel, einen Plan und möglichst viel Motivation. Ich bin überzeugt, dass Sie zusätzlich zur bestmöglichen medizinischen Behandlung viele Möglichkeiten haben, wieder Lebensfreude trotz der Diagnose Krebs zu erlangen.

Auch eine Gärtnerin, die ihre Pflanzen liebt, überlegt, was sie noch alles tun kann, damit ihre Blume wieder gesund wird. Nur ein wenig wegschneiden oder nur düngen ist sehr oft zu wenig, um wieder Freude an einer wunderschönen Blume zu haben.

Wenn ich zum Arzt gehe und sage: „Hier bin ich, machen Sie mich wieder gesund.“, dann sieht es für mich so aus, als hätte eine Blume nur ein einziges Blütenblatt. Wenn ich mich aber neben der bestmöglichen medizinischen Behandlung mit meiner Angst, Wut, Glaube, Hoffnung, Selbstliebe, Ressourcen, Bewegung, Ernährung, Geduld und Lebenssinn befasse und mich darauf auch einlasse, dann wird aus meiner Blüte eine wunderschöne, einzigartige Blume, die Lebensfreude bereitet. (vgl. Manuela Miedler: Vom Schatten ins Licht, S. 46)

Überlegen Sie bitte, welche Punkte in den Blütenblättern Sie bis jetzt noch nicht beachtet haben. Wenn wir uns nur auf die medizinische Behandlung verlassen, dann kann es passieren, dass wir uns einsam und verlassen fühlen, und dabei sehr viel hilfreiche Energie vergeuden oder gar nicht nutzen. So als würden wir unserer Blume nur die kranken Blätter wegschneiden oder nur düngen, aber Wesentliches dabei vernachlässigen.

 

Wenn Sie ein Ziel mit Sicherheit erreichen wollen, müssen Sie sich zunächst vergewissern, dass Ihre Motivation stark genug ist. Glauben Sie unerschütterlich daran, dass Sie Ihr Ziel erreichen. Sie müssen fest davon überzeugt sein, dass Ihr Ziel bereits in greifbarer Nähe liegt. Sie dürfen dies nicht nur hoffen, Sie müssen es glauben! Der Glaube versetzt Berge, heißt es zu Recht in der Bibel. Tief in Ihrem Inneren müssen Sie mit absoluter Sicherheit erwarten, dass Sie Ihr Ziel erreichen. Stellen Sie sich immer wieder vor, wie Sie sich fühlen, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben. Drehen Sie Ihren ganz persönlichen Film, den Sie so oft wie möglich vor Ihrem geistigen Auge ablaufen lassen. Wenn Sie sich Ihren Film vor Ihr geistiges Auge rufen, sollten Sie eine Erregung verspüren, als stünden Sie unmittelbar vor der Erreichung Ihres Zieles.

Suchen Sie sich Ihre Reisebegleiter gut aus. Wenn Ihre Reise einmal zu anstrengend wird, dann hilft Ihnen auf jeden Fall Humor. Lachen erlaubt uns, uns zu entspannen, uns selbst zu vertrauen und anderen zu helfen, dasselbe zu tun. Humor ist das Gegenteil von Wichtigtuerei, schafft ein Gefühl von Leichtigkeit und eine Atmosphäre der Freude.

Setzen Sie sich Etappenziele und seien Sie dankbar für jede erreichte Etappe und stolz auf Ihren Erfolg.

„Es soll nicht genügen, dass man Schritte tue, die einst zum Ziel führen,
sondern jeder Schritt soll Ziel sein und als Ziel gelten.“

Johann Wolfgang von Goethe