Vom Schatten ins Licht von Manuela Miedler

 

Schicksalhaft ist die Diagnose Krebs. Hier habe ich keine Wahl. Frau Miedler zeigt betroffenen Menschen einen Weg zurück zu ihrem Urvertrauen.

 

 

Die Autorin

Die diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester Manuela Miedler arbeitet als Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe und hat jahrzehntelange Erfahrung in der Betreuung, Begleitung und Beratung von Patienten und in der Ausbildung von Pflegepersonal.

Im Jahr 2002 wurde sie selbst nach einer Routineuntersuchung mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Die sportliche Kärntnerin durchlebte alle Facetten von Ängsten, Aggressionen, körperlichen und seelischen Schmerzen. Gleichzeitig lernte sie aus der Not Motivationstechniken und den effizienten Umgang mit den schulmedizinischen Ressourcen. Manuela Miedler ist heute gesund und schätzt diese Erfahrung als wertvollen Beitrag in ihrem Leben. Sie kann so mit einer unvergleichlichen Tiefe an Verständnis an diese Probleme herangehen. Manuela Miedler hält Seminare und Workshops zum Thema ab.

In den letzten Monaten orientiert sich die Autorin stark an logotherapeutischen Ansätzen nach Viktor E. Frankl.

Der Inhalt

Frau Miedler zeigt betroffenen Menschen einen Weg zurück zu ihrem Urvertrauen. Hilfreiche Information, Anleitung und Checklisten für den Umgang mit der Diagnose Krebs von einer Autorin, die auf zwei Erfahrungsschätze zurückgreifen kann: die eigene Betroffenheit von der Krankheit sowie die Erfahrung und Lehrtätigkeit als Dipl. Gesundheits- und Krankenschwester.

Inhalt

Vorwort von Prim. Univ. Prof. Dr. Heinz Ludwig . . .  9
Vorwort von Johanna Schechner  . . . . . . . . . . . 11
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

 1 Gesund oder krank? Das ist hier die Frage . . . . 19
 2 Diagnose Krebs als Chance . . . . . . . . . . . . 23
   Leben mit der Diagnose Krebs  . . . . . . . . . . 25
   Krankheit als Sprache der Seele . . . . . . . . . 28
 3 Standortbestimmung  . . . . . . . . . . . . . . . 33
 4 Entwicklungschancen . . . . . . . . . . . . . . . 37
 5 Persönliche Ressourcen  . . . . . . . . . . . . . 42
 6 Das Ziel der Reise  . . . . . . . . . . . . . . . 46
 7 Entwicklung . Metamorphose . Verwandlung  . . . . 50
 8 Ängste . Aggressionen . Wut . . . . . . . . . . . 56
 9 Selbstliebe . Bewegung . Ernährung  . . . . . . . 62
10 Lebenssinn . Geduld . Glaube  . . . . . . . . . . 71
Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Weitere Informationen  . . . . . . . . . . . . . . . 80
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Literaturliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Vorwort

Menschen, denen aus heiterem Himmel die Diagnose Krebs mitgeteilt wird, befinden sich in einer ähnlichen Situation wie Schiffbrüchige, die die Wellen des Schicksals in ein fremdes Land gespült haben, welches sie zuvor nie betreten haben und dessen Einwohner eine ihnen unbekannte Sprache sprechen.

Manuela Miedler ist eine der vielen Millionen Mitbürger, der dieses Schicksal zuteil wurde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Betroffenen schreibt sie sich jedoch ihre Erfahrungen, Gedanken und Empfindungen von der Zeit der Diagnosestellung bis zur Behandlung und danach von der Seele. Damit trägt sie nicht nur zur besseren Bewältigung ihre eigenen Belastungen bei, sondern eröffnet den Lesern die Chance, an den Erfahrungen der Autorin deren eigene Situation zu reflektieren.

Das weit verbreitete Bedürfnis vieler Menschen, die Ursache komplexer Phänomene, deren Beantwortung ihren Wissensstand bei weitem überschreitet, mit einfachen Antworten zu begründen, hat letztlich zur Behauptung einer Psychogenese von Krebs geführt. Mit diesem, dem mittelalterlichen Hexenglauben ähnlichen Unsinn räumt die Autorin auf, und befreit damit Betroffene von einer noch immer mancherorts geäußerten Schuldzuweisung für die eigene Erkrankung.

Gleichzeitig macht sie auch auf die durch die Katastrophe der Diagnose sich eröffnende Chance einer inneren Selbstreflexion und Neubestimmung der Werte aufmerksam. Der Leser wird im Arbeitsteil des Buches aufgefordert, seine eigenen Werte, Einstellungen, Ängste und Erwartungen in die zahlreichen Blüten der Sonnenblumen einzutragen und so zu einem vertieften Selbstbild zu kommen. Damit wird der Leser zu einer Reise zum besseren Verständnis seiner Bedürfnisse und zur Optimierung seiner Bewältigungsstrategien eingeladen, was ihm letztlich zu neuen Ufern mit wertvollen und bereichernden Erfahrungen führen sollte.

Prim. Univ. Prof. Dr. Heinz Ludwig
Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung für Onkologie
und Hämatologie im Wilhelminenspital Wien

Viktor E. Frankl zitiert: „Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist viel mehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten - das Leben zu verantworten hat.“

Und weiters sagt er: „Menschliches Verhalten wird nicht von Bedingungen diktiert, die der Mensch antrifft, sondern von Entscheidungen, die er selber trifft.“ Frau Miedler ist es im vorliegenden Buch gelungen, Antworten zur herausfordernden Lebensfrage „Krebserkrankung“ anzubieten.

Sie tut dies vor allem aus ihrem kostbaren Erfahrungsschatz einer ehemals selbst Betroffenen, aber auch als Gesundheits- und Krankenschwester sowie als engagierte, jahrelang praktizierende Seminarleiterin zu dieser Fragestellung.

Die interessierte Leserin, der interessierte Leser, spürt bald wohltuend das Anliegen der Autorin, wertvolle Wegweisungen zu geben, um aus der Diagnose „Krebs“ den Auftakt in ein auf Sinn und Werte ausgerichtetes Leben einzuleiten.

Schicksalhaft ist die Diagnose Krebs. Hier habe ich keine Wahl. Aber welche Möglichkeiten tun sich auf? Wozu fordert mich diese konkrete Lebensfrage heraus? Was ist jetzt die bestmögliche Antwort darauf für mich und mein Umfeld? Welche Wahl meiner Haltung ist jetzt die sinnvollste?

Frau Miedler öffnet weit den Bereich des Möglichen um sinnvolle, individuelle Antworten aufzuzeigen. Aus verständlicher emotionaler Enge und Angst öffnet sie geschickt geistige Freiräume und schafft es, das Heilgebliebene wieder ins Blickfeld zu rücken und damit sichtbar zu machen! Der Fokus ist auf das zu Gestaltende gerichtet, gibt damit Orientierung und ermöglicht so Selbstverwirklichung durch Sinnverwirklichung!

Das Optimum aus schicksalhaft schweren Lebensfragen herauszuringen ist die höchste Werteverwirklichung, der der Mensch fähig ist. Es wachsen Kräfte zu, wenn er sich gestaltend und agierend erlebt, sei es in Handlung oder in Haltung.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass schon nach den ersten Seiten der Lektüre die ins Leere gehende Warum-Frage einem Mut machenden Wozu Platz macht und so trotz Erkrankung ein gelingendes, sinnorientiertes Leben ermöglicht!


Johanna Schechner
Vorstand des Viktor Frankl Zentrums Wien
Logotherapeutin

Einführung

Wenn Sie an Krebs erkrankt sind und neben der bestmöglichen medizinischen Behandlung selbst aktiv zu Ihrer Heilung beitragen möchten, dann soll dieses Buch ein kleines Mosaiksteinchen auf Ihrem Weg „vom Schatten ins Licht“ sein.

Ich habe dieses Buch für Menschen geschrieben, die einen „Reiseführer“ suchen, aber ihre Route selbst planen wollen, auch für Menschen, die vielleicht ihr Reiseziel ganz verloren haben und nach Auswegen aus der Krise „Diagnose Krebs“ suchen.

März 2002, als junge erfolgreiche, diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester und Lehrbeauftragte für Krankenpflege war ich felsenfest davon überzeugt, das Leben voll im Griff zu haben. Alles stimmte: Karriere, Ehe, Familie, zwei tolle Buben, ein liebevoller, erfolgreicher Mann, berufliche Herausforderung. Die Tatsache, als Krankenschwester immer wieder mit der Diagnose Krebs bei Patienten konfrontiert zu sein, brachte mich nie und nimmer auf den Gedanken, dass dieses Urteil einmal auch über meinem eigenen Leben stehen würde. Und doch, war da nicht so etwas wie eine kleine Vorahnung?

Ein Tag wie jeder andere.

Es war an diesem sonnigen Frühlingstag. Ich betrat das lichtdurchflutete Wartezimmer meiner Gynäkologin in einer Mödlinger Jugendstilvilla, ein bisschen eilig, denn der Vormittag sollte noch für andere wichtige Dinge genützt werden. Für die Ordinationsgehilfin war ich mittlerweile eine sehr gute Bekannte geworden, denn schließlich kam ich bereits seit über zwanzig Jahren zwei Mal jährlich pünktlich zur Routineuntersuchung.

Das Verhältnis zu meiner Ärztin war vertraut, ich hatte sie von Anfang an als sehr kompetent, freundlich und sehr einfühlsam erlebt und fühlte mich gut aufgehoben. Die Untersuchung lief wie immer kurz und routiniert ab, kurze Begrüßung, ein paar private Worte, Ultraschall, Krebsabstrich, einer von tausenden. Der so genannte „Pap Smear“ kann frühzeitige Zellveränderungen an Muttermundöffnung oder Gebärmutterhals aufdecken und wird daher als Routineuntersuchung für Frauen bereits ab dem 18. – 21. Lebensjahr empfohlen. Ich vereinbarte bei der Ordinationshilfe einen neuen Termin in 6 Monaten und hakte die Sache innerlich ab.

Doch bereits zwei Wochen später kam der Anruf meiner Gynäkologin, persönlich, ruhig, bei meinem Abstrich gäbe es Probleme. Die Routine hatte ein jähes Ende genommen.

Eine Stunde später saß ich in ihrer Ordination. Unwillig fühlte ich, wie mein Herz zu rasen begann, als wollte es sich gegen die folgenden Minuten mit aller Kraft zur Wehr setzen, verhindern, dass das, was jetzt kommen würde, tatsächlich kommt. Ich weiß nicht mehr, was mir in diesen Sekundenbruchteilen während eines Atemzuges meiner Ärztin durch den Kopf schoss, es waren hunderte Gedanken. „... an Ihrem Gebärmutterhals sind maligne Zellen festgestellt worden, Sie als Krankenschwester wissen, was das heißt?“ „Das heißt - Diagnose Krebs ...“, brachte ich gerade noch hervor. Das frühlingshafte Licht im Zimmer erschien mir mit einem Mal, als hätte man bei einem TV-Gerät plötzlich keinen Farbempfang mehr. Der Schatten war da.

Kein Weg wie jeder andere.

Nachdem ich mich vom Schock der Diagnose erholt hatte und für mich nicht mehr die Frage wichtig war, warum ich erkrankt bin, sondern vielmehr die Frage wichtig wurde, warum ich wieder gesund werden will, begab ich mich auf einen sehr lehrreichen, schwierigen und oft schmerzhaften Weg.

Die Krankheit brach zu einer Zeit in mein Leben, als ich mich gerade in einer großen Umbruchstimmung befand. Ich war nun seit 10 Jahren Lehrerin in einer Fachschule für Altendienste und Pflegehilfe. In dieser Zeit wurde gerade zaghaft begonnen, über Pflegenotstand zu diskutieren. Meine Schülerinnen mussten aber ihr Schulgeld selbst finanzieren und für ihr Praktikum Urlaub nehmen. Nach einer sehr intensiven zweijährigen Abendschulausbildung mussten sie sich vom Gesetz her mit dem Titel „Pflegehelfer mit Altenfachbetreuerausbildung“ begnügen. Man spekulierte mit dem Idealismus von Menschen, die gewillt waren zu helfen. Ich wollte mich mit diesen politischen Entscheidungen nicht identifizieren, aber ich sah keine Alternative und wusste nur eines: es muss etwas anders werden in meinem Leben. Es würde allerdings schwierig werden, nach 10 Jahren eigenständiger Arbeit etwas anderes, Passendes zu finden.

Ich war auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung.

Obwohl ich in der glücklichen Lage war, nicht für den Lebensunterhalt unserer Familie aufkommen zu müssen, suchte ich nach einem neuen Job, bei dem ich auch noch genügend Zeit für meinen Hauptberuf als Mutter haben würde - heute habe ich meine Berufung zum Beruf gemacht.

Wie alles kam.

Mein Mann und ich hatten uns nach der Geburt unseres ersten Kindes für eine einfache, vielleicht etwas konservativ klingende Aufgabenteilung entschieden: er sollte für den Unterhalt und die Finanzen sorgen, ich für das Haus und dessen Bewohner. Das funktionierte sehr gut und mit der Zeit hatte ich mit dem Haushalt und mit meinen beiden Söhnen alle Hände voll zu tun.

Als aber meine Kinder in den Kindergarten kamen, war es für mich selbstverständlich, wieder arbeiten zu gehen und eine Doppelbelastung auf mich zu nehmen. Die Arbeit als Lehrerin in der Abendschule erwies sich als sehr hilfreich, es gab keine Probleme mit Kindergartenöffnungszeiten in den Ferien, ich konnte bei Tag an Schulfesten teilnehmen und anstatt mich am Abend gemütlich vor den Fernseher zu setzen, fuhr ich nach einem anstrengenden Tag in die Schule, um zu unterrichten. In jungen Jahren schafft man als Frau einfach viel, das Unterrichten machte mir großen Spaß und es kam sogar etwas in die Familienkasse, obwohl ich die pädagogische Zusatzausbildung selbst finanzieren musste. Diese Ungerechtigkeit ließ meine Arbeitsmoral sinken und so suchte ich verzweifelt und oft verkrampft nach etwas Neuem. Nicht zu wissen, wonach ich suchen und wie es konkret weiter gehen sollte, das war eine große zusätzliche Belastung.

Ich befand mich in einer völlig unbekannten Situation, denn bis dahin, führte ich mein Leben sehr spontan und wusste immer ganz genau, was ich wollte. Mitten in die erste bewusste Krise meines Lebens hinein brach an diesem Märztag die Diagnose Krebs: Angst, Erschütterung, Enttäuschung und darüber hinaus Scham, so eigenartig es klingt. Denn neben der Angst kam auch die Peinlichkeit dazu, an einer Krankheit erkrankt zu sein, die „doch nur Menschen trifft, die ihr Leben nicht im Griff
haben“.

Prof. Kurt Tepperwein schreibt: „Krebs entsteht durch nicht bewältigte persönliche Situationen, reduzierte Abwehrlage, innere Isolation, und das Wuchern von negativen Gefühlen.“ (Kurt Tepperwein: Was Dir deine Krankheit sagen will, S. 75)

Ich war in einem sehr guten Allgemeinzustand, versuchte mich an die allgemeinen „Gesundheitsregeln“ zu halten, rauchte nicht, joggte seit einigen Jahren und reflektierte immer wieder mein Leben. Und obwohl ich nicht in das Schema eines „Krebspatienten“ passte, waren in meiner Gebärmutter Krebszellen festgestellt worden.

Vor zwanzig Jahren war es noch üblich, diese Diagnose zu verheimlichen, ich hätte es wahrscheinlich, wie so viele andere Betroffene, ebenso getan. Doch in unserer Zeit gibt es zahlreiche „Vorstreiter“, die mit ihrer Krankengeschichte an die Öffentlichkeit gegangen sind. Denken Sie an Prominente wie Lance Armstrong, Kylie Minogue und viele andere. Es wäre auch etwas leichter gewesen, wenn sich meine Krebszellen einen anderen Ort ausgesucht hätten, als ausgerechnet den Gebärmutterhals, denn das war nicht sehr gesellschaftsfähig. Als Kuriosum kam mir aus meiner Schwesternausbildung in den achtziger Jahren das Lehrbeispiel der an Gebärmutterkrebs erkrankten Nonnen und an Gebärmutterhalskrebs erkrankten Prostituierten in den Sinn.

Da ich fast über Nacht von der gesunden, sportlichen Dipl. Krankenschwester zur Krebspatientin wurde, spürte ich sehr deutlich, wie es ist, die Kranke zu sein. Ich glaubte jetzt, die versteckte Angst und Ohnmacht von Krankenschwestern und Pflegern zu erkennen, die ich selbst als Pflegerin gegenüber Krebskranken oft unbewusst empfunden hatte.

Unsere Reise geht weiter.

Ich suchte einen Weg und fand ihn mit Vertrauen, Mut und Heiterkeit. Heute bin ich wieder gesund, fühle mich reifer, gelassener und glücklicher als vor meiner Erkrankung. Dieser Weg soll nun anderen ein Reiseplan sein, in Form eines Reiseführers Betroffenen und Angehörigen eine Richtung zeigen.

Das Gute an einem Reiseführer ist, dass man die Angaben 1:1 übernehmen kann ohne ein Risiko einzugehen, denn sie sind ja bereits erprobt. Und, was mir besonders an der Metapher des Reiseführers so gut gefällt, ist die Freiheit, die Reiseroute so umzuwandeln und zu verändern, wie es genau zu mir passt, oder mir auch nur einen kleinen Gedankenanstoß zu holen, um mir dann meinen eigenen Plan zusammenzustellen.

Mein Buch ist also kein typischer Ratgeber, es möchte Ihnen neue Wege zeigen, Sie zum Nachdenken und manchmal zum Lachen bringen und Ihr Reisebegleiter werden.

Bevor ich mit der Diagnose Krebs persönlich konfrontiert war, hatte ich sehr gerne und oft ungebetene Ratschläge gegeben, die dann zu „Schlägen“ gerieten. In einer Krisensituation ist der Ratsuchende oft so ratlos, dass er keinen Rat zurückweisen will oder kann, er klammert sich oft an jeden Strohhalm. Ratgeber und Ratsuchende haben nicht dieselben Wünsche, Ziele und Kräfte.

Lassen Sie mich die Verantwortung des Ratgebers mit Paulo Coelho formulieren:
„Wer in den Lebensplan eines anderen eingreift, der wird nie seinen eigenen entdecken.“ (Paolo Coelho: Der Alchimist, S. 144)

Gesund oder krank?
Das ist hier die Frage

Kennen Sie diese Situation: Wie jedes Jahr machen Sie auch diesmal wieder eine Gesundenuntersuchung. Doch bei der Befundbesprechung heißt es: „Sie sollten zu Ihrer Sicherheit doch noch eine bestimmte Untersuchung machen, reine Routinesache, versteht sich.“

Sie fühlen sich verunsichert, aber auch irgendwie „schuldig“, etwas falsch gemacht zu haben, denn warum sollte es plötzlich in Ihrem Körper Komplikationen geben - das kann nicht sein, bis jetzt hatten Sie doch alles so gut im Griff - Sie funktionierten ja doch immer, haben nicht geraucht, ja und 5 mal am Tag Obst/Gemüse gegessen, Sie sind Ihre täglichen Runden gelaufen und jetzt soll etwas mit Ihnen nicht stimmen? „NEIN“, es ist ja, wie gesagt, nur eine reine Routineuntersuchung. Der Alltag nimmt wieder Besitz von Ihnen, und Sie funktionieren wie immer. Mit gemischten Gefühlen gehen Sie zur Befundbesprechung. Eigentlich fühlen Sie sich gesund. Wenn nicht das eigenartige flaue Gefühl in Ihrer Magengegend wäre. Ihre Ärztin macht ein besorgtes Gesicht und ohne lange um den heißen Brei herumzureden, knallt man Ihnen die Worte wie eine schallende Ohrfeige ins Gesicht: „Es tut mir leid, Sie haben Krebs! Der Befund ist eindeutig, Sie sollten sich sofort operieren lassen, und diese und jene Komplikationen können eintreten.“ (Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei allen Ärztinnen und Ärzten, die versuchen, ihren Patienten unerfreuliche Diagnosen sehr schonend beizubringen.)

Auf Täuschung folgt Enttäuschung.

„Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts.“, sagte Max Planck (Max Karl Ernst Ludwig Planck, deutscher Physiker, Begründer der Quantentheorie, 1858–1947) . Ich fühlte mich in dieser Situation wie Frau Uschi Glas. Können Sie sich noch an ihre Scheidung erinnern? Noch einen Monat bevor ihr Mann mit seiner Geliebten im Schilf fotografiert wurde, erzählte Frau Glas, wie glücklich verheiratet sie denn sei und gab gute Ratschläge, wie man eine glückliche Ehe führen kann.

Doch wie aus heiterem Himmel sah sie beim Frühstück die Fotos ihres zuvor noch liebevollen, verständnisvollen und treuen Ehemannes mit einer jungen hübschen Frau in flagranti. Und mit einem Mal war die glückliche Ehe Vergangenheit. Ihr Mann, Bernd Tewaag, hatte schon eine Dreiecksbeziehung, als seine Frau noch von einer glücklichen Ehe schwärmte.

Auch ich fühlte mich gesund, doch durch das Beweismaterial Blutwerte und jede Menge komplizierter Befunde wurde ich zur „Kranken“, schließlich zur „Krebspatientin“. Allerdings - sowohl in meinem Fall und, wie ich glaube, auch bei Uschi Glas, kam der Befund doch nicht so aus heiterem Himmel. Wir hatten nur die kleinen Anzeichen der Veränderung ignoriert.

Allein die Tatsache, an Krebs erkrankt zu sein, ist für die meisten Menschen wie eine Ohrfeige, denn dieser Diagnose eilt immer noch ein schreckliches Bild von Schmerzen, Tod und Dünkel voraus. Darüber hinaus wird das Problem immer auf andere projiziert, Krebs - das haben immer die anderen, nicht ich.

Als meine Ärztin im Jahr 2002 mir sehr liebevoll und behutsam beibrachte, dass ich Krebszellen in meinem Körper hätte, verlor ich zunächst völlig den Boden unter meinen Füßen. Ich konnte es nicht glauben, ich, die ja immer auf ihre Gesundheit bedacht war, konnte doch jetzt nicht an Krebs erkrankt sein! Aber nachdem ich den Schock überwunden hatte und in der Lage war, meine Krankheit anzunehmen, war für mich nicht mehr die Frage wichtig: „Warum habe ich diese Krankheit“, sondern „Warum will ich wieder gesund werden“. Mir war klar, dass jetzt die Zeit gekommen war, einen Plan zu machen. Ich musste herausfinden, was ich will, und warum ich es will.

In der Folge versuchte ich meine Erkrankung nicht als meinen Feind zu sehen, den ich bekämpfen muss, sondern als eine „Freundin“, die mir helfen kann. Sie sollte mir zeigen, was mir wirklich fehlt. In dieser Situation schenkte mir mein Mann das Buch „Traumfänger“ von Marlo Morgan. Elisabeth Kübler-Ross schrieb über diesesBuch:

„Die Geschichte einer mutigen Frau, die mit den Aborigines wanderte und die wundervollen Geheimnisse und die Weisheiten eines sehr alten Stammes erfuhr. Es geht dabei um Dinge, die wir alle in unserer modernen Gesellschaft lernen müssen: wieder eine Beziehung zur Natur herzustellen, zu vertrauen und an unser inneres Wissen und unsere eigenen Ziele zu glauben.“
(Marlo Morgan: Traumfänger, Vorwort von Elisabeth Kübler-Ross (Cover-Rückseite))


Mein Ziel war, zu leben.

Unsere Söhne Florian und Philipp waren gerade 13 und 11 Jahre alt, und tief in meinem Herzen wusste ich, dass sie sehr gut auch ohne mich leben konnten. Denn ich hatte sie zu selbstbewussten und eigenständigen Menschen erzogen. Und sie haben einen Vater, der sich wundervoll um sie kümmert.

Ich erinnerte mich an eine Bekannte, die in Scheidung lebte und an Krebs erkrankt war. Als sie nicht mehr in der Lage war, sich um ihre Kindern zu kümmern, kamen ihre beiden Söhne (6 und 8 Jahre) wieder zum Vater und zu seiner jungen Freundin, mit der sich die beiden Burschen sehr rasch anfreundeten. Schließlich weigerten sie sich, ihre Mutter im Hospiz zu besuchen.

Im ersten Moment bricht einem das „Mutterherz“, wenn man daran denkt, dass sich Kinder abwenden könnten. Ich glaube aber, zu bedingungsloser Liebe gehört, selbst loslassen zu können, und sich - wie in diesem Fall - mitfreuen zu können, dass die Kinder eine Ersatzmutter gefunden haben. Sicher wollte ich leben, damit ich meine Kinder aufwachsen sehe, aber auch und vor allem für mich, da ich noch so viel vorhatte und vieles lernen wollte.

Die Tatsache, an Krebs erkrankt zu sein, kreiste und kreiste in meinem Kopf, in immer anderen oder auch immer wiederkehrenden Aspekten und Facetten. Schließlich tauchte der Gedanke auf: „Du lebst!“ Ich hätte ja einen Autounfall haben können oder Österreichs Todesursache Nr. 1, dem Herzinfarkt zum Opfer gefallen sein. Was nützt ein Vorwurf an das Schicksal, was war zu tun?

Als Mittel der Wahl stellte sich ein Friseurbesuch heraus. Hier stellte ich das Kreisen meiner Gedanken fürs erste einmal ruhig. Dieses Hausmittel hatte sich schon in anderen kritischen Situationen bestens bewährt. Wenn in meinem Kopf zu viele Gedanken herumschwirren, hilft immer eine neue Frisur. Mit einem flotten, sehr kurzen Haarschnitt in satter Farbe fasste ich für mich den Entschluss, wieder gesund zu werden.

Das Eigenartige an der Situation war, dass ich mich gar nicht krank fühlte, ich hatte keine Schmerzen, fühlte mich sehr aktiv und vital, und litt einzig und allein daran, mit meinen Gedanken über einen Befund, der meinem Körper unweigerlich Krebszellen attestierte und mit den damit verbundenen Gefühlen fertig zu werden. Mein zweiter und für mich wichtigster Schritt auf meiner Reise war, mich nicht als so genannte „Krebspatientin“ abstempeln zu lassen. Ich machte mir selbst bewusst, dass ich eine Frau war, in deren Körper Krebszellen festgestellt wurden. Und mir war sonnenklar, dass ich mich neben der bestmöglichen medizinischen Behandlung auch mit meinen Ängsten, Wünschen und Bedürfnissen befassen durfte - ja genau, durfte.

Ich wusste ja, was mir fehlte: „Eine neue berufliche Herausforderung und die Zufriedenheit und Gelassenheit, mich selbst bedingungslos zu lieben, mit oder ohne Job.“

Ich erinnerte mich an die längst vergessenen biblischen Worte des Alten Testamentes: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (3. Mose 19,18; Matthäus 22,39) Und jetzt versuchte ich, mich immer öfter genau so zu lieben, wie ich meine Nächsten liebe. Die neue berufliche Herausforderung tat sich dann ganz nebenbei auf.

Diagnose Krebs
als Chance

Mit Sicherheit werden Sie sich oder mich fragen, was kann daran eine Chance sein, wenn man mit einer Diagnose Krebs konfrontiert ist. An einer Diagnose kann niemand erkrankt sein, wenn es auch manchmal scheint, als wäre die Diagnose schlimmer als die Krankheit selbst.

Für mich wurde das Wort „Diagnose“ eine Art Stoßdämpfer, der die Wucht des Aufpralles dieser Hiobsbotschaft abpolstert, die Erkenntnis der Tatsache, Krebszellen in seinem eigenen Körper zu haben abfedert, manchem Betroffenen helfen mag, sich schnell aus der Opferrolle zu befreien. Es ist ja nur eine Diagnose.

Dabei kristallisierte sich in meiner Betrachtung dieser Krankheit ein wesentliches Prinzip heraus: Menschen, denen die Diagnose Krebs gestellt wurde, sind und bleiben in erster Linie Menschen. Menschen, die Chancen haben.

Neben meiner persönlichen Entwicklung war die Chance, eben das Gute an meiner Erkrankung, dass ich die Gefühle und Bedürfnisse der Menschen, die an Krebs erkrankt sind, nun wirklich verstehen kann. Ich habe die Ängste, Aggressionen, die körperlichen und seelischen Schmerzen selbst er- und durchlebt.

Durch diese Erfahrungen ist es mir nun möglich und ein Bedürfnis, Betroffene zu motivieren, zu begleiten und zu unterstützen. Bevor ich selbst an Krebs erkrankt war, habe ich vielen Freunden, Schülern und auch fremden Menschen wie erwähnt ungefragt „gute“ Ratschläge gegeben. Als ich dann selbst mit meiner Diagnose konfrontiert war, lernte ich, gut gemeinte Ratschläge von Freunden und Familie geduldig anzuhören. Aber ich war mir sicher, ich tue dann nur das, was ich will!

Wo ist das Gute versteckt?

Nachdem ich wieder gesund geworden war, fing ich an, Golf zu spielen. Leider konnte ich aus Mangel an Ehrgeiz und Ausdauer mein Handicap nicht wesentlich verbessern und meine Spielweise in drei Jahren nicht nennenswert steigern. Deshalb wurde ich auch im August 2006 von einem tollen Turnier wieder gestrichen. An diesem besagten Sommertag herrschte allerdings typisches Aprilwetter und ich dachte mir: „Glück gehabt!“. Am selben Tag fielen mir einige Flaschen mit selbst gemachtem, schwarzen Hollundersaft aus der Hand, die Flaschen barsten und der köstliche, dunkelrotblaue, dickflüssige Sirup hinterließ auf meiner zartgelben Küchenwand eine sehr eigenwillige Spur, die sehr schwer zu entfernen sein würde. In diesem Augenblick fragte ich mich dann doch: „Was soll das ‚Gute‘ an diesem Schauspiel sein?“ Oder heißt es nicht: „Alles im Leben hat einen Sinn.“

Oft ist es nicht so einfach, wir brauchen Zeit und kommen erst später auf den wahren Sinn. Und manchmal passieren einfach Dinge, die nicht erklärt werden wollen.

Durch einen Befund erfahren wir schwarz auf weiß, was mit uns nicht stimmt, was in unserem Körper nicht der Norm entspricht. Plötzlich haben wir einen Stempel auf uns und alles dreht sich nur noch um das Thema Diagnose Krebs, wir verlieren den Mut und unsere Lebensfreude. Bei einem meiner vielen Seminare zum Thema „Vom Schatten ins Licht bei der Diagnose Krebs“ fragte mich eine Kursteilnehmerin, wie sie Lebensfreude trotz dieser schrecklichen Diagnose haben solle. Auf meine Frage, was ihr denn vor der Diagnose Freude am Leben gemacht habe, konnte sie mir keine Antwort geben.

Menschen, die arbeitslos sind, glauben oft, erst wenn sie wieder einen Job hätten, wären sie glücklich und könnten wieder Freude am Leben haben.

Menschen, die unglücklich verliebt sind, glauben oft, wenn sie nur den richtigen Partner fänden, wären sie glücklich und könnten wieder Freude am Leben haben.

Menschen, deren Körpergewicht nicht ihrer Wunschvorstellung entspricht, glauben, wenn sie wieder ein paar Kilogramm weniger hätten, wären sie glücklich und könnten wieder Freude am Leben haben ... Diese Liste könnte seitenlang werden.

Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre.

Wenn Sie wieder Arbeit gefunden hätten, wären Sie glücklich, wenn dann auch die Gehaltserhöhung durchginge ...

Wenn Sie wieder einen neuen Partner hätten, dann wären Sie glücklich, wenn er auch noch hübsch und lustig wäre ....

Wenn Sie Ihr Wunschgewicht endlich erreicht hätten, dann wären Sie glücklich, wenn auch noch die Haut straff und faltenlos wäre ...

Wenn man das Wörtchen „wenn“ aus seinem Denken streichen könnte, wäre das Leben halb so kompliziert.

Glücksgefühle lassen sich nicht konservieren.

Man muss sie produzieren. Was hindert uns im Hier und Jetzt, glücklich zu sein und Lebensfreude zu haben?

Ich glaube, diese Frage kann sich jeder nur selbst beantworten. Ich suchte mein Glück früher auch im Außen, weil ich mir selbst sehr fremd war und ich durch meine Prägung lernte: „Wenn du lieb, nett und brav bist, dann haben wir dich lieb.“

Wir alle leben ja in einer Zeit, wo uns schon im Säuglingsalter suggeriert wird, wenn wir Fruchtzwerge essen, dann werden wir groß und stark. Mit dieser oder jener „Marke“ wirken wir sexy, und wenn wir unser Fett absaugen lassen, dann werden wir geliebt. Als in meinem Körper Krebszellen festgestellt wurden, fragte ich mich oft, wer ist hier eigentlich krank: ich, da ich Krebszellen in meinem Körper habe, oder jene Menschen, die vor sich davonrennen, ihren Körper misshandeln, indem sie Fett absaugen, Silikon einspritzen, sich lebensmüde an Drahtseilen fixiert von Brücken stürzen oder von einer Beziehung zur nächsten rennen?

Nach Rössler ist die „Gesundheit nicht die Abwesenheit von Problemen, sondern der Mut und die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen.“ (1 vgl. D. Rössler: Der Arzt zwischen Technik und Humanität, S. 32)

Leben mit der Diagnose Krebs

Immer wieder hört oder liest man von Menschen, die den Krebs „besiegt“ haben. Es wird auch sehr oft vom Kampf gegen die heimtückische Krankheit Krebs gesprochen. Nur, wir alle wissen, aus einem Kampf geht man entweder als Sieger oder als Verlierer hervor. Wenn nun, wie es durch modernste Untersuchungen möglich ist, im Körper des Siegers keine Krebszellen mehr zu finden sind, wird er von den Medien als Held bezeichnet. Was ist aber mit dem Menschen, in dessen Körper sich weiterhin Krebszellen befinden - ist er dann der Verlierer?

Von Blutwerten und Röntgenbildern hinge es dann ab, wie ich mich fühlen darf. Als Sieger, der den Feind besiegt hat, oder als Verlierer, der noch immer Krebszellen in seinem Körper hat.

„War es einst nur der Arzt, der das bellum contra morbum führte, den Krieg gegen die Krankheit, so ist es heute die ganze Gesellschaft. Diese Transformation des Krieges in einen Anlass zur ideologischen Massenmobilisierung hat die Kriegsmetaphorik für Erziehungskampagnen wertvoll gemacht, deren Ziel nun die Vernichtung eines ‚Feindes‘ war. Wir haben den Krieg gegen die Armut erlebt, den Krieg gegen die Drogen, schließlich den Krieg gegen einzelne Krankheiten wie etwa den Krebs.

Der ,Krieg‘ gegen eine Krankheit ist nicht bloß der Aufruf zu noch mehr Engagement der Bevölkerung und die Forderung nach noch mehr Mitteln für die Forschung. Diese Metapher sorgt auch dafür, dass eine besonders gefürchtete Krankheit als etwas ebenso ,Fremdes‘ und ,Anderes‘ gesehen wird wie der Feind in einem modernen Krieg; dann aber ist der Schritt von der Dämonisierung der Krankheit zur Schuldzuweisung an den Patienten zwangsläufig, gleichgültig, ob der Patient als Opfer gedacht wird oder nicht. Ein Opfer suggeriert Unschuld, Unschuld aber suggeriert, nach der unerbittlichen Logik derartiger relationaler Begriffe, Schuld.“ (Susan Sontag: Krankheit als Metapher, S. 83f)

Ich habe schon viele Menschen erlebt, die „im Kampf“ gegen ihre Krebszellen das eigentliche Leben vergessen haben, sie hatten zwar meterweise Ordner mit ihren Befunden und wurden zu diätetischen und pharmazeutischen Experten. Ihre Lebensfreude hing jedoch förmlich am seidenen Faden. Waren die Befunde gut, fühlten sie sich gut, fielen die Befunde nicht so gut aus, fühlten sich diese Menschen als Versager. Von einer Selbsthilfegruppe wurde ich zum Thema „Loslassen“ eingeladen, ich überlegte hin und her, was ich in zwei Stunden vermitteln könnte. Mein Ziel war, das „Loslassen“ einmal als Wort zu betrachten und so den Damen den Stress zu nehmen, den dieses Wort verbreitet. Mir selbst bereitete das Wort „Loslassen“ sehr lange Stress.

Was nicht zu dir gehört, lasse los.

Schöne Worte, nur wie soll es geschehen. In einem Wortspiel zerlegte ich das Wort „Loslassen“. Aus Loslassen wurde „Zulassen“. Anstatt nach dem Knopf zu suchen, auf den ich nur zu drücken brauche, um alles loszulassen, lasse ich meinen Zorn, Wut und Angst zu.

Aus „Loslassen“ wurde „Einlassen“. Ich lasse mich auf diese neue Situation ein, versuche, diese mir völlig neuen Seiten anzunehmen, zu verstehen, was ich dadurch lernen darf.

Aus „Loslassen“ wurde „Weglassen“. Ich lasse die Diagnose Krebs immer öfter aus meinen Gedanken weg.

Ich habe mir dieses Wortspiel sehr bunt und lebendig vorgestellt und war sicher, damit mein Ziel, den Damen den Stress „loslassen zu müssen“ nehmen zu können. Als es jedoch zum Punkt „Weglassen“ kam, geriet ich selbst in einen gewaltigen Sturm von Stress. Einige Damen fielen über mich her und es erregte die Gemüter außerordentlich, wie ich mir vorstellen könne, diesen Gedanken an die Diagnose Krebs einfach „wegzulassen“.

Als ich diese Stunde reflektierte, wurde mir bewusst, dass das Wort „Weglassen“ die selbe Schwingung wie das Wort „Loslassen“ hat. Wir sind aufgefordert, uns von etwas zu trennen, das wir gerade erst zu akzeptieren gelernt haben, und jetzt wollen wir es auch festhalten, denn besonders in schwierigen Situationen braucht man einen Haltegriff. Ich umschreibe das Thema „Weglassen“ jetzt gerne durch den Ausdruck aus dem Kärntner Volksmund „lei loosn“, was eine gewisse Leichtigkeit des Seins mitschwingen lässt.

C. G. Jung sagte: „Man wandelt nur das, was man annimmt.“ (Carl Gustav Jung, Begründer der analytischen Psychologie, 1875–1961) , und meinte damit, um Probleme zu lösen, muss man diese erst einmal an sich heran lassen, sie akzeptieren. Als in meinem Körper Krebszellen festgestellt wurden, war das eine der schwierigsten Aufgaben, das Annehmen, das Akzeptieren. Unwillkürlich drängten sich die Fragen nach den Ursachen auf: Wer war schuld an dieser Entwicklung? Ich? Habe ich Fehler gemacht? Die Umwelt - vielleicht noch die Folgen von Tschernobyl? Meine Familie? Mein Beruf? Erst als ich davon überzeugt war, selbst keine Schuld an meiner Krankheit zu haben, konnte ich meine Krebszellen auch akzeptieren. Vielleicht fragen Sie sich: „Was ist mit Menschen, die bewusst einen ungesunden Lebensstil führen. Hören wir nicht in den Medien rund um die Uhr, wie ungesund das Rauchen, wie gefährlich Übergewicht und wie bedrohlich falsche Ernährung ist?“ Ich lernte Menschen kennen, die an Lungenkrebs erkrankt waren, weder sie selbst rauchten noch wurde in ihrer Umwelt geraucht. Ich kannte einen sportlichen Mann im besten Alter, der weder rauchte noch im Übermaß trank und sich sehr viele Gedanken über seine gesunde Nahrung machte. Eines Tages brach er am Tennisplatz aufgrund eines Herzinfarktes zusammen und nicht einmal der Notarzt, der sofort Erste Hilfe leistete, konnte ihn retten. Es gibt auch Menschen, die Lungenkrebs haben und im Krankenhaus weiterrauchen. Sicher könnten wir vordergründig sagen: „Selber schuld.“

Immer öfter versuche ich, das Wort Schuld mit dem Wort Schule zu ersetzen. Schule heißt lernen, und am besten lernt man doch aus Fehlern. Und wir alle haben schon sehr viele Fehler gemacht, oft bewusst, aber sehr oft auch weil wir es nicht anders konnten. Und wenn Menschen einen so genannten ungesunden Lebensstil führen, können sie vielleicht nicht anders. Was ist überhaupt ein ungesunder Lebensstil? Was ist ein gesunder Lebensstil? Das, was uns die Medien auf schönen Hochglanzseiten zeigen?

Krankheit als Sprache der Seele

Ruediger Dahlke versucht in seinen Büchern, das Symptom von seiner negativen Bewertung zu befreien, da die Schulmedizin mit ihren ständig moderner, effizienter werdenden Untersuchungsmethoden praktisch bei jedem Menschen irgendeine Abweichung der Norm findet. Er sieht das Symptom als wertvollen Wegweiser, der zu Themen führen und helfen kann, vollständiger und heiler zu werden. (1 vgl. Ruediger Dahlke: Krankheit als Sprache der Seele)

Eine liebe Freundin ist seit den zwanzig Jahren unserer Freundschaft laufend mit gesundheitlichen Problemen in therapeutischer Behandlung. Sie wechselt ihre Ärzte etwa alle drei Jahre. Zurzeit ist sie bei einer Chemikerin, die sie in der Arztpraxis ihres Mannes mit Fußbädern und Mineralstoffen behandelt. Meine Freundin war vom Erfolg dieser Behandlungen überzeugt. Als sich jedoch zu den üblichen Verdauungsproblemen seit kurzem auch eine Augenentzündung gesellte und der Ärmsten gesagt wurde, die Entzündung ihrer Augen bedeute, dass sie vor einem Problem die Augen verschließt, war es für sie wieder an der Zeit, nach einem neuen Heiler Ausschau zu halten. Mit offenen Augen.

Andererseits bemühte sie sich krampfhaft, in ihr Inneres zu sehen, um nach den Problemen zu suchen, die sie angeblich verdrängte. Nach kurzer Zeit, sie hatte ja jahrzehntelange Erfahrung im Suchen, fand sie diesmal einen Arzt, der ihr versicherte, ihr Immunsystem mit seiner Methode stärken zu können, so würde auch der Entzündung ihrer Augen beizukommen sein. Auf meine Frage, was denn vielleicht das Gute an ihrer Augenentzündung wäre, konnte sie mir keine Antwort geben.

Ich glaube, ein großer Vorteil ihrer gesundheitlichen Probleme ist die Hilfe, die sie sich sucht und dass sich dann ihre Auserwählten sehr um sie bemühen. Es ist beinahe mit einer Beziehung zu vergleichen. Zu Beginn, in der Zeit des Kennenlernens, sieht sie alles durch die rosarote Brille und vergisst die Leere ihres Herzens.

Wenn aber der Alltag einkehrt und die „zweite“ Hälfte doch nicht ihre Leere ergänzt, ist es für sie wieder Zeit, sich auf die Suche zu machen, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ihr weiterhilft. Ich finde, das Sprichwort: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“, geht einem sehr leicht über die Lippen, die Umsetzung allerdings ist oft sehr schwer und für viele Menschen in Krisensituationen auch nicht durchführbar.

„Wenn uns der Körper etwas mitzuteilen hat, gibt er nicht auf. Er flüstert uns etwas zu, und wenn wir das nicht hören, klopft er an die Tür, klopft lauter und fängt schließlich an, wie wild an die Tür zu hämmern. Wenn wir dies immer noch nicht beachten, stellt der Körper das blinkende Rotlicht und Sirene an.“ (Penny Peirce)
(Elfrieda Müller-Kainz, Christine Sönning: Die Kraft der Intuitiven Intelligenz, S. 156)

Durch meine Erkrankung, die ich mit 36 Jahren hatte, kam ich frühzeitig in die Wechseljahre - ein Glück! Denn zwei Jahre zuvor wurden Probleme bei der üblichen Hormontherapie für die Wechseljahre festgestellt. Neben den Vorteilen wurden auch gesundheitliche Risiken konstatiert. So versuchte ich, meinen Hormonschwankungen auf Umwegen zu begegnen. Hilfe fand ich zuerst in Büchern, später in Seminaren von Frau Julia Onken. Hitzewallungen, Schlafstörungen, Aggression und Ruhelosigkeit wurden bald zu lieben Freundinnen. Wenn die Hitze durch mich wallte, wusste ich, dass es Zeit ist, diese kraftvolle Energie für mich zu nützen, ein klares und deutliches „NEIN“ kam plötzlich mühelos über meine Lippen, und wenn es Zeit war, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, tat ich es auch.

Meine Schlafstörungen sah ich als Zeichen, mehr Zeit für mich zu nehmen, was ich in der Nacht, wenn alles schlief, auch tat, und ich lernte, mir bei Tag immer öfter eine Auszeit zu gönnen.

So wie mir die „Jahreszeichen“ meiner Wechseljahre ganz deutlich zu verstehen gaben, dass es Zeit für den Übertritt in die zweite Lebenshälfte ist, weiß ich durch eigene Erfahrung, dass unsere Krankheitssymptome wie eine liebe, ehrliche Freundin zu uns sein können. Eine Freundin ist erst dann eine Freundin, wenn sie uns in den richtigen Situationen die Augen öffnet, auch wenn uns der neu gewonnene Blick vielleicht Angst macht. Unsere Krankheitssymptome helfen uns auch mit Menschen in Kontakt zu kommen, uns Ruhepausen zu gönnen oder einfach wichtig genommen zu werden.

Eine meiner ersten Kursteilnehmerinnen hatte die Gabe, ihre Krankengeschichte mit ihrer dunklen, tiefen, vollen Stimme in einer so blumigen Sprache zu erzählen, dass alle fasziniert zuhörten. Die Schilderung ihrer miserablen Blutwerte und des rasanten Wachstums ihrer Krebszellen fesselte das Publikum und sie erntete ungeteilte Aufmerksamkeit, was ihr in ihrem Beruf als Lehrerin leider bisher versagt blieb.

Als junges Mädchen hatte sie den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen. Auch hier war ihr die Krankheit als Anlass behilflich, wieder Kontakt aufzunehmen. Ihre Eltern zeigten ihre Liebe und Zuneigung in Form einer sehr großzügigen finanziellen Unterstützung, durch die sie nun zur gern gesehenen Privatpatientin wurde.

Krank sein ist jetzt erlaubt.

Solange Krankheit als Versagen bezeichnet wird, wollen wir so schnell wie möglich unsere Symptome loswerden. Für mich war meine Krankheit sehr bald eine Chance. Früher war ich auf der Suche nach meinem Lebenssinn an mir selbst vorbeigelaufen, suchte oft mein Glück im Außen. Mein Glück kam auf Umwegen mit der Diagnose Krebs. Da ich am Leben war und noch meine Enkelkinder erleben wollte, musste, ja durfte ich mich auf die Suche machen, zu entdecken, was mir wirklich fehlte.

Im Leben gibt es immer zwei Seiten, die im Endeffekt doch zu einem Ganzen werden. Es gibt den Tag und die Nacht, es gibt die Ebbe und die Flut, es gibt die Geburt und es gib den Tod. In unserer Zeit sieht es so aus, als würde alles, was nicht „Spaß“ macht, einfach unter den Teppich gekehrt oder ignoriert. Für viele ist der „Funfaktor“ wichtiger als der Lernfaktor. Bei ernsten Krankheiten, besonders bei der Diagnose Krebs, werden oft die verwirrte Psyche oder die verseuchte Umwelt als Ursachen bemüht, aber behandelt wird der Körper so, als wollte man mit allen Mitteln die Nacht zum Tag machen, anstatt einmal innezuhalten und das Gute an der Situation zu suchen.

Seit der Erfindung des elektrischen Lichtes gelingt es uns ja auch recht einfach, die Nacht zum Tag zu machen. Wenn wir aber auf unseren Körper hören, dann geben wir ihm den Schlaf, den er sich redlich verdient hat. Bei vielen Naturvölkern ist es noch immer umgekehrt. Angehende Schamanen sehnen sich nach Krankheiten, damit sie eingeweiht werden und somit den Status eines Heilers bekommen.

In unseren Breiten werden Kranke von Ärzten behandelt, die nur Theorien aus Büchern kennen. Superschlanke schreiben Bücher „Wie werde ich schlank“, Menschen um die Dreißig geben Anti-Aging-Tipps, gesunde Ärzte wollen bei Patienten keine falsche Hoffnung wecken.

Stellen Sie sich einmal vor, alle, die an Krebs erkrankt waren oder sind, werden zu Autoren und schreiben Bücher über die „schwachen Gesunden“. Wir vertreten in den Medien die Behauptung, wir, die wir Krebszellen im Körper hatten oder haben, sind die Starken, denn Krebszellen entstehen nur in Körpern von selbstbewussten und lernfähigen Menschen, die in der Lage sind, diese Lebensaufgabe zu bewältigen.

Wir würden für die armen Gesunden Kurse anbieten, wie sie lernen können mit Krisen umzugehen - eine absurdes Szenario.

Nein, wir, die an Krebs erkrankt waren oder sind, greifen nicht in die Lebensaufgaben anderer ein, denn wir haben genug mit unserer eigenen Entwicklung zu tun. Ich setzte mich aber sehr dafür ein, dass aus „Krebspatienten“ Menschen werden, die trotz dieser Diagnose Freude am Leben und auch das Recht zu dieser Freude haben. Die Wissenschaft lehrt, dass Krebszellen keine „Erfindung“ der gestressten Neuzeit sind, es hat sie schon immer gegeben. In 500 Jahre alten Mumien der Inkas wurden Tumore festgestellt. Die Krankheit zieht sich wie ein roter Faden durch die medizinische Geschichte. Auch Sigmund Freud war jahrzehntelang an Krebs erkrankt. Krankheiten und Behinderungen wurden früher entweder als Strafe Gottes in Zusammenhang mit Schuld und Sünde gesehen oder sogar als Möglichkeit der Identifizierung mit dem Leidensweg des Jesus von Nazareth. Hildegard von Bingen etwa kam ins Kloster, weil sie ein sehr kränkelndes Kind gewesen war, später wurden ihre Visionen eng mit ihrer Migräne in Zusammenhang gebracht.

...