Beziehung ... ein Irrgarten zwischen Lust und Frust von Dr. Norbert Arlt

 

Beziehung ist so allgegenwärtig wie die Unzahl der Bücher mit frommen Ratschlägen. Aber wer konnte diese wirklich umsetzen, wer kann wirklich danach leben?

 

 

INHALT

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    9
Kritische und wohlwollende Worte von
Dr. Brigitte Arlt-Schöpflin  . . . . . . . . . . .   10
Zum Titelblatt und zu René Magritte  . . . . . . .   12
Zur besseren Verwirrung  . . . . . . . . . . . . .   15
Ein Blick zurück
Das Matriarchat  . . . . . . . . . . . . . . . . .   21
Frauen haben etwas, was Männer grundsätzlich
nicht haben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   24
Worum geht es beim Sex wirklich? . . . . . . . . .   32
Männer und Frauen im Patriarchat . . . . . . . . .   40
Die Angst der Männer vor den Frauen  . . . . . . .   46
Besuch beim Medizinmann  . . . . . . . . . . . . .   54
Beziehungen berühmter Menschen . . . . . . . . . .   55
Ein Blick auf unsere Programmierungen
Die 1-zu-365-Falle zwischen Frau und Mann  . . . .   69
Es geht immer ums Zeugen von Kindern . . . . . . .   73
Stimmt die Theorie der Spiegelneurone? . . . . . .   75
Die Schlüssel-Schloss-Beziehungen  . . . . . . . .   77
Hormone und Duftstoffe   . . . . . . . . . . . . .   84
Nicht einmal auf die Gene ist Verlass  . . . . . .   87
Männer und Frauen sprechen verschiedene Sprachen .   91
Ich liebe dich!  . . . . . . . . . . . . . . . . .   93
Die unangenehmen Geräusche . . . . . . . . . . . .   94
Warum gibt es ein Interesse, dass Frauen
weniger verdienen? . . . . . . . . . . . . . . .     95
Ein Blick in die Seelenlandschaft
Männer versinken in ihren Fantasien und
Frauen in ihren Umerziehungsprogrammen . . . . .    97
Wer heilt die Wunden meiner Kindheit?  . . . . .   107
Depressiv warst du mir lieber  . . . . . . . . .   111
Heilige – Hure . . . . . . . . . . . . . . . . .   114
Nähe und Distanz . . . . . . . . . . . . . . . .   118
Wer hat die Kontrolle? Hingabe ist
doch Selbstaufgabe!  . . . . . . . . . . . . . .   122
Progression und Regression . . . . . . . . . . .   126
Ich habe doch recht! . . . . . . . . . . . . . .   129
Das Scheitern ist programmiert . . . . . . . . .   133
Wenn die Liebe der Mutter nicht zu gewinnen ist    137
Wirklich verheiratet bist du nur mit dir selbst    142
Wir sollten eine Paartherapie machen
– eine gefährliche Drohung . . . . . . . . . . .   146
Bereicherung oder Behinderung  . . . . . . . . .   149
Schwiegereltern, Schwiegerkinder . . . . . . . .   152
Die Angst vor dem Tod  . . . . . . . . . . . . .   156
Ein Blick in die Zukunft
Wieso ist alles so schwer? . . . . . . . . . . .   161
Die Notwendigkeit zur Wandlung – eine Zumutung .   164
Die drei weiblichen Wandlungen . . . . . . . . .   164
Die drei männlichen Wandlungen . . . . . . . . .   168
Wieso schläft der Sex in stabilen Beziehungen ein? 173
Wer ist der Chef beim Sex? . . . . . . . . . . .   180
Es endet meist so, wie es begonnen hat . . . . .   185
Sechs Weisheitsschritte mit Abzweigung zur Hölle   189
Angeblich soll es eine leichte Lösung geben  . .   198
Hat C.G. Jung recht, dass in uns Menschen
Individuation mächtiger angelegt ist als
Sexualität?  . . . . . . . . . . . . . . . . . .   201
Kameradschaft oder Liebe . . . . . . . . . . . .   206
Ein Blick in Mythen und Märchen
Die schönen Beziehungen  . . . . . . . . . . . .   211
Die Schöne und das Tier  . . . . . . . . . . . .   211
Philemon und Baukis  . . . . . . . . . . . . . .   212
Romeo und Julia  . . . . . . . . . . . . . . . .   214
Die schwierigen Beziehungen  . . . . . . . . . .   216
Adam und Lilith, Adam und Eva  . . . . . . . . .   216
Das Problem der Männer, eine Frau zu erobern . .   217
Das Problem der Frauen, einen Helden zu finden .   221
Zur Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . .   227
Fußnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   233
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . .   236

Danksagung

An alle Frauen, die je meinen Weg berührt, gekreuzt, bereichert, begleitet, behindert oder was auch sonst noch haben. Sie haben mein Leben erschwert, erleich tert, mit Freude und Lachen aber auch mit Schmerz und Tränen erfüllt. Diese Fülle an Lachen und Tränen gehören zu meinem Leben, sind ein Teil von mir und ohne diese Erfahrungen wäre das Leben es gar nicht wert gewesen.

   Mein besonderer Dank gehört meiner Frau: nicht nur, weil sie den Schwerpunkt meiner oben genannten Erfahrungen darstellt, sondern weil sie auch – Dank ihrer psychotherapeutischen Professionalität – mit hilfreichen und kritischen Stellung nahmen dieses Buch mitgestaltet hat.

   Vielen lieben Dank meinen Freunden, die das Buch vorweggelesen haben und mir Hinweise gaben, wo der Text zu lang, zu kurz, zu unklar, zu brutal, zu dumm usw. ist. Also danke an Monika, Manfred und Dieter.

   Danke an den Verlag: an Frau Renate Götz, die so leichtsinnig ist, dieses Buch zu veröffentlichen; Dank für die mühevolle Arbeit des Lektorierens an Frau Bader, für die Grafik an Frau Denk sowie an Frau Tisch für die Bemühungen zur Erlangung der Druckrechte der Bilder von René Magritte.

Hinweis

Alle Namen und Lebensgeschichten sind so verändert, dass Rückschlüsse auf reale Personen nicht möglich sind.

   Im Sinne einer guten Lesbarkeit wurde auf die heute übliche Schreibweise Kli entInnen, ÄrztInnen, TherapeutInnen usw. verzichtet, es mögen sich aber bitte jeweils weibliche und männliche Personen angesprochen fühlen.

Kritische und wohlwollende Worte von
Dr. Brigitte Arlt-Schöpflin

Jawohl, jetzt ist es so weit. Mein Mann hat wieder ein Buch geschrieben, diesmal über Beziehung!

    Eine Bekannte, der ich davon erzählte, meinte sogleich lakonisch: „Na, da hab ich schon Vorbehalte, was soll denn schon dabei rauskommen, wenn ein XY-Wesen, also ein Mann, über ein so komplexes Thema wie die Begegnung von Mann und Frau schreibt.“

    Liebe Artgenossin, der moderne Mann von heute gestattet sich viel mehr als in vergangenen Jahren seine Anima zu leben und das impliziert meiner Meinung nach, dass er ebenso ein tiefes Verständnis für die Hintergründe, die zu einer Begegnung von Mann und Frau führen, entwickelt hat wie wir Frauen. Der Mann ist hoffentlich kein Irrtum in der Hominidenevolution. Auch wenn wir Frauen unsere Partner manchmal am liebsten zum Teufel jagen könnten, wo immer der auch sei. Aber ohne sie ist es doch auch langweilig.

    Irgendein gescheiter Mensch hat einmal behauptet: „Wir sollten uns das, was wir besitzen, bisweilen so anzusehen bemühen, wie wir es betrachten würden, wenn wir es verloren hätten.“  

    Eines steht für mich fest: eine Beziehung ist eine absolute Herausforderung für beide Geschlechter. Das Wagnis, eine Partnerschaft einzugehen, ohne dabei unter die Räder zu gelangen, ist vielleicht schwer, aber zu schaffen. Wer immer behaupten möge, es sei ein Leichtes, Frau und Mann müssten nur aktiv zuhören lernen und Verständnis füreinander haben, ist naiv. Eine Beziehung ist wie eine Reise, eine Reise in den Konjunktiv, wo ich die Möglichkeit habe, vieles für mich neu zu definieren und zu überdenken, um mein Gegenüber, diesen anderen Kontinent (es muss nicht immer gleich die Venus oder der Mars sein) zu entdecken.

    Ich spüre beim Lesen des Buches so eine Stimmung, die ausdrücken will: Bleibe dir selbst in der Beziehung treu und du kannst nicht falsch gegen irgendetwas oder irgendjemanden sein. Quasi nach dem Motto: Sei du selbst die Veränderung, die du in der Beziehungswelt erleben möchtest.

    Dieses Buch unterscheidet sich vielleicht von anderen Exemplaren, die es zuhauf im Psycho-Eck zu finden gibt. Einerseits ist es eine Lektüre, die Emotionen hervorruft; ich behaupte, das könnte von sattem Schmunzeln über das Gelesene bis zu ärgerlichem Stirnrunzeln gehen und zwar bei beiden Geschlechtern gleichermaßen.

    Mehr oder minder schonungslos zeigt der Autor die Fehler und Schwächen von uns Frauen und ebenso von Männern auf und kommentiert sie in seiner manchmal flapsigen Art. So manches Kapitel lässt einen resignieren und daran zweifeln, ob Beziehung überhaupt möglich ist. Einen Absatz weiter schöpft man wieder Hoffnung. Niemals jedoch verspürt die Leserin oder der Leser den erhobenen Zeigefinger des Autors als sein Besserwissen, wie es richtiger gehen könnte. Ratschläge werden, Gott sei Dank, nicht erteilt – und das, obwohl er dereinst Lehrer war.

   Natürlich sind wir Frauen herausgefordert, das bestehende Vorurteil, Wir würden Kritik viel schlechter einstecken können, niederzuschmettern und das weibliche Geschlecht möge das Gegenteil beweisen.  

   Hoffentlich erhitzt so manche Passage die Gemüter von Mann und Frau, denn dann hat das Buch etwas bewirkt. Anderseits bietet das Buch einen guten Überblick über die Beziehungsformen im Wandel der Zeit und bringt zur Veranschaulichung Bilder aus Mythen und Märchen, aus der Medizin bis hin zur Epigenetik, sowie aus der psychotherapeutischen Praxis. Weiters mögen die Bilder von René Magritte zum Innehalten anregen und Imaginationen und Assoziationen provozieren.  

   Die Behauptung, dass die Partnerschaft ein Irrgarten zwischen Lust und Frust sei, ist meist rasch untermauert, wenn man mehrere Paare befragt, die schon länger beisammen sind. Aber gerade dieser Irrgarten gibt ihr und ihm den Kick, um eine Beziehung nicht in einer Sackgasse der Langeweile enden zu lassen.

   Ich möchte nicht übersehen, dass ein Frauentyp in diesem Buch zu kurz kommt. Es ist jener, der in völliger Abhängigkeit von seinem Partner in absoluter Unterdrückung und Ausbeutung lebt. Diese Frauen verdienen es, dass ihnen geholfen und ihr Schicksal thematisiert wird. Vielleicht finden diese Menschen eher den Weg zu einer Therapeutin, also einer Frau, um Hilfe zusuchen und aus ihrer Abhängigkeit herauszukommen. Da dieses Buch von einem Mann geschrieben ist, liegt der Schwerpunkt bei dem Frauentyp Königin. Und es gibt diesen Typ. Im Theaterstück Gott des Gemetzels (Le dieu du carnage) von Yasnina Reza wird Veronique der Satz in den Mund gelegt: „Es ist uns völlig schnuppe, was sie [die Männer] an Frauen mögen! ... Die Ansichten [von  ihnen] sind uns völlig schnurz und schnuppe!“

   In diesem Sinne betrachtet passt dann das Zitat aus dem gleichen Stück – vom männlichen Hauptdarsteller ausgesprochen: „Die Ehe ist die schlimmste Prüfung, die Gott uns auferlegt hat!“  

   Nun, liebe Leserin, lieber Leser, machen Sie sich selbst ein Bild und vielleicht geben Sie sich doch eine kleine Chance?

Zum Titelblatt und zu René Magritte

Les amants, Die Liebenden, 1928

René Magritte (geboren 1898 in Lessines, Belgien, verstorben 1967 in Brüssel) ist ein bedeutender Vertreter des Surrealismus. René war 14 Jahre alt, als sich seine Mutter aus unbekannter Ursache das Leben nahm, indem sie sich nachts in einem Fluss ertränkte. Sie wurde mit einem Nachthemd über dem Kopf tot aufgefunden. Verhüllte Gesichter und Menschen sind eines der oft verwendeten Motive Magrittes.

   Man kann sich leicht vorstellen, welchen Vertrauenseinbruch dies im Leben Magrittes hinterließ, vor allem dem Weiblichen gegenüber. Viele seiner Bilder lassen sich in diesem Sinne interpretieren. Vielleicht wollte er auch den tragischen Verlust seiner Mutter nicht wahrhaben, indem er immer wieder darauf hinwies, dass die gemalte Pfeife keine Pfeife ist, die man stopfen oder rauchen kann, und dass der gemalte Apfel kein Apfel ist, den man essen kann. Magrittes ungewöhnliche Zusammenstellungen und Verfremdungen machen nachdenklich, wie es auch dieses Bild verdeutlicht. Die Liebenden zeigt eine Frau und einen Mann, die sich einander liebend nähern,

und doch sind ihre Gesichter verhüllt, als wollte Magritte andeuten, dass niemand wirklich weiß, worauf er sich einlässt. Vielleicht stimmt dieses „… denn sie wissen nicht, was sie tun!“  

    Eigentlich muss ich René Magritte um Entschuldigung bitten, dass ich es wage, seine Bilder zu interpretieren, wo er es doch selbst immer abgelehnt hat, seine Darstellungen psychoanalytisch zu deuten. „Wenn meine Gemälde gelungen sind, eignen sie sich nicht für Analysen.“ (Museumsfolder Magritte-Museum, Brüssel)

    Und wie ich beim Besuch des Magritte-Museums in Brüssel dem Audioguide entnommen habe, hat Magritte es immer abgelehnt, seinen Bildern selbst einen Namen zu geben. Er bat immer Freunde um Benennung seiner Werke. Der Sprecher sinnierte darüber nach, wieweit einem Bild einen Titel zu verleihen auch eine Deutung ist, ob er sich innerlich nur davon distanziert hat und es seinen Freunden überließ, den Bildern eine psychologische Bedeutung zu geben, wieweit er

selbst Angst hatte, hinter die Kulissen zu schauen. „Ich wünsche mir echte Liebe, das Unmögliche und Trugbilder. Ich fürchte meine Grenzen genau zu entdecken.“  

(Museumsfolder Magritte-Museum Brüssel).

    Zum besseren Verständnis haben wir die Bildtitel jeweils in Französisch und Deutsch angegeben. Ob wir mit den Übersetzungen Magrittes Vorstellungen getroffen haben, ist ungewiss.

    Magritte spricht auch einmal von „Träumen, die nicht einschläfern, sondern aufwecken wollen“. Bei diesem und beim nächsten Bild, das ich beschreiben möchte, ist ihm das gelungen, zumindest bei Brigitte und mir.

    Wir, das sind Freunde, meine Frau und ich, stehen im Palazzo Strozzi in Florenz in einer Ausstellung von Magritte und bleiben vor einem Bild stehen, das eine unfertige Brücke zeigt, also eine, die zirka nur zur Hälfte besteht. Die Brücke führt – nicht sehr überraschend – über einen Fluss. Die Spiegelung im Wasser zeigt uns Magritte aber vollständig. Wir diskutieren das Bild, versuchen es zuzuordnen, bringen auch unsere tiefenpsychologischen Deutungen ein, schließlich ist Brücke ein bekanntes Beziehungssymbol, eine Verbindung zwischen zwei Ufern, etwas, das zwei Gegensätze vereint. Eine Brücke steht auch für die Beziehung von zwei Menschen.

    René Magritte nannte das Bild Die Brücke des Heraklit. Der griechische Philosoph Heraklit stand unter anderem für eine nachhaltige Kritik der oberflächlichen Realitätswahrnehmung und Lebensart der Menschen. Heraklit konfrontiert uns auch mit dem schwierigen Satz: „Der Gegensatz gehört zur Entwicklung!“  

    Ich erzähle den Freunden, dass ich gerade an einem Buch zum Thema Beziehung schreibe, als ich in ein bedeutungsschwangeres, nachdenkliches Gesicht meiner Frau blicke.

    Sie sagt: „Ist nicht die Beziehung zwischen zwei Menschen gerade so?! In der Realität bleibt sie immer etwas Halbes, erreicht nie die Vollkommenheit der erträumten Wünsche. Aber in unserer Seelenspiegelung, dort wo unsere Sehnsüchte, Wünsche und Ideale sind, dort liegt ein Bild einer vollkommenen, einer wirklich gelungenen, einer tatsächlich total beglückenden Beziehung. Dort ist der Traum von der wunderbaren Verbindung zweier Seelen. Und gerade diese Differenz zwischen Realität und Sehnsucht macht uns ein Leben lang Probleme, ist aber vielleicht auch genau die Chance, zu einer gereiften Person heranzuwachsen, vielleicht sogar im Alter weise zu werden.“

    Die Frage ist, und diese zieht sich durch das ganze Buch, wie wir mit diesem Schmerz der unerreichbaren Vollkommenheit einer Partnerschaft zurechtkommen.

    Da der Verlag die Druckrechte für das Bild nicht erhalten hat, möchte ich es durch die Computerbearbeitung des Fotos einer realen Brücke in Bayern veranschaulichen.

(Fotomontage)

Wasser, ein tiefenpsychologisches Symbol für das Unbewusste, findet sich auch an anderen Stellen, so bei Hermann Hesse: „Siddhartha schaute ins Wasser, und im ziehenden Wasser erschienen ihm Bilder: sein Vater erschien, einsam, um den Sohn trauernd, er selbst erschien, einsam, auch er mit den Banden der Sehnsucht [...] Oft schon hatte er all dies gehört, diese vielen Stimmen [...] Und alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und Böse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der Fluss des Geschehens, war die Musik des Lebens.“ 1

Zur besseren Verwirrung

Es fällt niemandem ein, von einem Einzelnen zu verlangen,

dass er glücklich sei, – heiratet aber einer,

so ist man sehr erstaunt, wenn er es nicht ist!

Rainer Maria Rilke

 

Ursprünglich wollte ich diesen Titel wählen: „Frau und Mann chancenlos! … vielleicht etwas für Abenteurer“  

     So hat es begonnen. Ich erzähle meiner Frau, welcher Buchtitel mir vorschwebt, und schon werde ich darauf hingewiesen und verbessert, dass es AbenteurerInnen heißt, mit großem I.

     Ist Beziehung überhaupt denkbar als Ort der Ruhe, Entspannung und Geborgenheit? Christentum und Sozialismus wollten eine friedliche und konfliktfreie Welt schaffen. Gott, die Natur, die Gene oder was auch sonst, haben eine andere Welt erzeugt. Eine Welt mit Konkurrenz, Wettbewerb, Kampf. Und alles erfordert Mut zum Risiko.

     Natürlich darf man sich schon an dieser Stelle fragen: Sind wir alle schonungsbedürftige Kleinkinder, die man nicht belasten darf? Oder traut uns diese Welt mehr zu?

     Wenn man bedenkt, dass in Mitteleuropa 50 Prozent der Ehen geschieden werden und der Rest der bestehenden Verbindungen auch durchwachsen sein wird, von beglückend und bereichernd über Beziehungen, die nichts bringen, aber auch nichts nehmen, bis hin zu jenen Ehen, die zwar am Papier bestehen, aber nur Missachtung, Nichtwahrnehmung und gegenseitige Behinderung beinhalten, dann bleibt nur ein trauriger Rest, den man mit reinem Gewissen als positiv bezeichnen darf.

   Um nicht in den Verdacht zu geraten, ein grenzenloser Pessimist zu sein, möchte ich schon festhalten, dass am Beginn der Paarbeziehung fast immer eine beglückende Zeit der Verliebtheit steht, jene Zeit, die man Flitterwochen nennt. Aber schon das Wort „verliebt“ macht nachdenklich. Bedeuten denn nicht fast alle Worte, die mit „ver“ beginnen, etwas Negatives? Vergessen, vernachlässigen, verludern, verrosten, verlieren, verraten, versterben ... Wir können uns daher genüsslich zurücklehnen und das Wort „verheiratet“ auf der Zunge zergehen lassen.

   Auch Hans-Joachim Maaz setzt sich mit dem „ver“ auseinander, wenn er meint:  „Viele Menschen sind verliebt oder glauben zu lieben, wenn sie einen Menschen finden, der ihnen Gutes tut. Sie mögen ihn oder sie nur wegen der erfahrenen Zuwendung und Zuneigung, mit der sie innere Defizite aufzufüllen hoffen – dies geschieht vielleicht aus der Liebesfähigkeit des Spenders, begründet aber noch lange keine Liebe beim Empfänger. Dafür hat die deutsche Sprache auch das Wort ‚verliebt‘ zur Verfügung.“ 2

   Nun – vermuten, versichern, verstehen, versüßen beginnt auch mit „ver“ – also so ganz eindeutig ist die Sache wohl nicht. Aber was ist, wenn es um Beziehung, Verliebtheit und Liebe geht, schon einfach?

   Zu den Themen Wie sind Frauen?, Wie sind Männer?, Wie kann eine Beziehung funktionieren? gibt es ohnedies – wie ich zu sagen pflege – erst 7.865 Veröffentlichungen. Somit ist es verständlich, dass die Menschheit auf dieses Buch schon sehr dringend gewartet hat.

   Die meisten Arbeiten zu diesen Themen machen uns ein schlechtes Gewissen, denn den paar leicht einzulösenden Ratschlägen wird man doch gerecht werden können: Miteinander reden, wirklich zuhören, etwas Toleranz, manchmal ein wenig nachgeben – das wird man denn doch noch schaffen! Doch spätestens beim Streit heute Morgen waren die gut gemeinten Psychologien völlig vergessen gewesen und man stand wieder einmal als peinlicher Versager da. Oder heißt es VersagerIn?

   Beziehungsanalphabet, Liebesneandertaler, eigenbrötlerischer Egoist, unverbesserlicher Idiot, die Tiernamen lasse ich jetzt weg, und schon wieder habe ich vergessen, das große I einzufügen – was bleibt, sind Alkohol, eine Freundin, ein Geliebter, Kegelclub, Engagement in der Emanzipationsbewegung, Resignation, Depression – und am Ende steht oft: Gib es auf, es hat ohnedies alles keinen Sinn!

   Niemand liest bei Sir Karl Popper nach, wenn er meint: „... der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, provoziert stets die Hölle.“  

   Warum sollte es uns in die Hölle führen, wenn wir den Himmel suchen? Die hohen, idealisierten Ansprüche, die natürlich niemand erreicht, machen uns Schuldgefühle, definieren uns als Versager, nehmen uns Kraft und Mut und machen daher Lebensangst. Das gräbt uns die Lebensenergie ab, die wir doch so dringend im Beziehungsdschungel bräuchten. Oft war auf Seminaren, die Brigitte und ich gemeinsam leiteten, das größte Highlight, wenn die Teilnehmer wahrnehmen konnten, dass auch wir Differenzen hatten, uns manchmal zurechtwiesen und manchmal verschiedener Meinung waren. Das nimmt die Angst, wenn man wahrnimmt, dass sich auch die Profis abmühen, um gut durchs Leben zu kommen.

   Wider alle Erfahrung kämpfen sich die meisten Menschen durch diesen Beziehungsfrust.

   Was reitet so viele Autoren, so zu tun, als wäre Beziehung ein leicht zu erklimmender Gipfel? Das ist es nämlich nicht! Lege ich die eingangs erstellte Rechnung zugrunde, so werden 50 % der Ehen geschieden, und von den restlichen 50 % sind ein Drittel bereichernd, ein Drittel belastend und ein Drittel bringt nichts und nimmt nichts, ist weder bereichernd noch belastend. Es bleibt also eine Erfolgsrate von ca. 16 %. Würden Sie noch in ein Flugzeug steigen mit der Aussicht, dass nur 16 % von Ihnen heil ans Ziel kommen?

   Eine Heirat ist, wie dies einmal der Soziologe Manfred Prisching ausdrückte, eher nur eine „Bemühungszusage“.

   Dabei sind die vielen „Lebensabschnittsbeziehungen“ und das dortige wiederholte Trennungsleid nicht berücksichtigt.

   Welche unglaubliche Triebfeder steckt in uns Menschen, dieses Wagnis trotzdem einzugehen?

Auf jeden Fall möchte ich, neben anderen Aspekten, diese drei Motive anerkennen:

    Jeder, der Beziehung wagt, verdient es, für seinen Abenteurermut geachtet zu  werden.

    Jeder, der dieses Abenteuer eingeht, verdient trotzdem Respekt, auch wenn er sich als gescheitert erlebt. Das Wesen großer Abenteuer liegt in ihrem enormen Risiko. Ich schlage vor, nicht nur den Mut anzuerkennen, sondern auch nicht zu übersehen, dass Lernprozesse immer beinhaltet sind, egal wie das Experiment ausgeht.

    Jeder, der das Abenteuer einer Beziehung wagt, wird einem Entwicklungsprozess untergeworfen.

Sollte also C.G. Jung mit seiner Idee von der Individuation recht haben? Er meint, frei nacherzählt, bei allem Respekt vor der ungeheuren Bedeutung der Sexualität, dass ein Trieb im Menschen noch stärker angelegt ist, nämlich der, zu der Persönlichkeit heranwachsen zu wollen, die in ihm angelegt ist. Diesen Trieb nennt Jung Individuation.

    Da ich davon ausgehe, dass ca. 90 % der Leser im Dschungel des Beziehungslabyrinths Verirrte sind, möchte ich alle willkommen heißen. Ihr seid in guter Gesellschaft und das folgende Buch will zeigen, wieso es so schwer ist, wo überall Fallen lauern und dass es normal ist, wenn man dabei Wunden und Schrammen davonträgt.

    Und, lieber Leser, Sie können vollkommen beruhigt sein: Es gibt keine guten Ratschläge, so wie Wilhelm Busch von weisen Lehren, die gut gemeint, doch bös zu hören sind, schreibt.

    Und weil es so gut zum Thema passt, hier das ganze Gedicht:

    Der Einsame
 

    Wer einsam ist, der hat es gut,

    Weil keiner da, der ihm was tut.

    Ihn stört in seinem Lustrevier

    Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,

    Und niemand gibt ihm weise Lehren,  

    Die gut gemeint und bös zu hören.

    Der Welt entronnen, geht er still

    In Filzpantoffeln, wann er will.

    Sogar im Schlafrock wandelt er

    Bequem den ganzen Tag umher.

    Er kennt kein weibliches Verbot,

    Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.

    Geschützt vor fremden Späherblicken,

    Kann er sich selbst die Hose flicken.

    Liebt er Musik, so darf er flöten,

    Um angenehm die Zeit zu töten,

    Und laut und kräftig darf er prusten,

    Und ohne Rücksicht darf er husten,

    Und allgemach vergisst man seiner.

    Nur allerhöchstens fragt mal einer:

    „Was, lebt er noch? Ei Schwerenot,

   Ich dachte längst, er wäre tot.“

   Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,

   Lässt sich das Glück nicht schöner malen.

   Worauf denn auch der Satz beruht:

   „Wer einsam ist, der hat es gut.“

 

    Auch Henrik Ibsen lässt seine Hauptfigur in Der Volksfeind, zwar resigniert und verzweifelt, sagen: „Der ist der stärkste Mann auf der Welt, der ganz allein steht.“  

   Und wenn wir zur Psychologie zurückkehren: Eva-Maria Zurhorst meint, wenn jemand allen Beziehungsproblemen aus dem Weg geht, um sich das Liebesleid zu ersparen: „Nun war der Schmerz zwar weg, keiner konnte uns mehr etwas antun, dafür aber nagt jetzt in unserem Inneren eine Leere.“ 3 Sie meint, das Alleinsein hätte einen Preis – die innere Leere.

   Und es gibt noch einen, den möglicherweise größten Schmerz: das Alleinsein zu zweit. Das Nichterreichen eines Menschen, der vor einem sitzt oder steht, obwohl zum Greifen nahe.

   Ein kurzer Nachsatz für alle wissenschaftlich kritischen Leser. Vieles, von dem Sie bald lesen werden, habe ich irgendwo gehört, gelesen, auf einem Kongress aufgeschnappt, und ich habe keine Ahnung mehr, wo und von wem. Und jeder, der gerne Unwissenschaftlichkeit anprangert, wird ein Eldorado an Verallgemeinerungen, Vorurteilen und Behauptungen finden.

   Es ist meine Meinung von heute, nicht mehr und nicht weniger. Was ich morgen oder gar übermorgen denken werde, davon weiß ich heute noch nichts.

   Des Weiteren werden Männer wie Frauen viel Ärgerliches vorfinden, aber ich glaube, es wird sich symmetrisch verteilen. Am Ende des Tages werden beide Geschlechter auf mich böse sein – nun, damit muss ich von jetzt an leben.

   Sollten Sie zu den wenigen Ausnahmen gehören, zu denen die folgenden Aussagen nicht passen – Gratulation!

   Also viel Spaß!

 

   Norbert Arlt

 

Ein Blick zurück

Das Matriarchat

Historiker sind sich nicht ganz einig, jedoch vertreten viele die Ansicht, dass die Kulturgeschichte der Menschheit frauenrechtlich begonnen hätte. Die Definition laut Heide Göttner-Abendroth lautet: „Eine von Frauen geschaffene und geprägte Gesellschaft, in der sie dominieren, aber nicht herrschen.“ Die Autorin weist auch darauf hin, dass das Wort Arché nicht nur Herrschaft sondern auch Anfang bedeutet. „Am Anfang war die Mutter, das weibliche Prinzip. Und das trifft die Sache.“ 4

Ich schließe mich dieser Theorie an, weil ich diese Strömungen und Haltungen unter der Decke des Patriarchates immens spüren kann.

   Wie können wir uns diese Zeit vorstellen und wie kam es zu dieser privilegierten Stellung der Frauen? Ich glaube, dass es recht simpel ist: Alles, was Männer können, können Frauen auch. Entscheidungen treffen, kochen, nähen, jagen usw. Aber neben all den ganz und gar nachvollziehbaren Handlungen gab es noch etwas. Bei Frauen wölbte sich manchmal der Bauch, wie vom Neumond zum Vollmond, und aus ihnen schlüpfte ein neues Wesen. Es musste ganz und gar übernatürlich gewesen sein, dass diese Wunderwesen, die Frauen, neues Leben hervorzaubern konnten. Und nur durch diesen Nachwuchs blieb der Stamm, die Horde am Leben, nur dadurch gab es eine Zukunft. Dieses Mysterium war bei den Frauen angesiedelt. Die Beteiligung der Männer an dem Zeugungsvorgang, so meinen manche Fachleute, wäre über lange Zeit nicht bekannt gewesen. Das Wunder, Kinder und somit Zukunft in die Welt zu setzen, lag bei den Frauen – somit waren sie natürlich etwas Besonderes.

   Die „unbefleckte Empfängnis“ ist entwicklungspsychologisch vielleicht doch nicht so absurd, wie man meinen könnte. Womit aber nicht darüber hinweggetäuscht werden soll, dass es auch damals ohne Männer nicht ging.

   Göttner-Abendroth erwähnt eine Studie über Trobriand-Indianer: „Die Trobriander glauben, dass allein die Mutter aus ihrem aus der Schwangerschaft neun Monate ausbleibenden Menstruationsblut den Leib des Kindes aufbaue, darum kann das Kind nur mit ihr verwandt sein. Das ist der direkte Sinn des Wortes ‚Bluts‘- Verwandtschaft. [...] Der Zeugungsakt des Mannes ist bei den Trobriandern unbekannt, darin ist ihr Denken noch ganz archaisch. Der Geschlechtsakt hat nur Eröffnungsfunktion, denn sie glauben, dass der Mann die Vagina der Frau eröffnen muss, bevor sie empfangen kann. Auf keinen Fall aber schwängert der Mann die Frau, sondern diese nimmt den Geist einer toten Ahnin oder eines toten Ahnen in sich auf, der durch sie zu neuem Leben geboren werden will.“ 5

   Wem diese Darstellung seltsam vorkommt, ich zitiere aus einem Buch von Steve Jones, einem Professor für Genetik: „Wie Alfred Kinsey, der Gründer des Instituts für Sexualforschung an der University of Indiana, im Jahre 1939 entdeckte, wusste in seiner Gegend nur jeder fünfte Jugendliche, dass Babys eine Mutter haben – dass ein Mann mitgewirkt hatte, war keinem von ihnen klar.“ 6 Und diese Beobachtung liegt nicht einmal 100 Jahre zurück.

   Was war dann die Rolle der Männer? Man brauchte sie trotzdem für die Fortpflanzung, ob jetzt bewusst oder nicht. Aber brauchte jede Frau einen zu ihr gehörigen Mann? Nein, sie brauchte Sex und es spricht einiges dafür, dass es Sex gab, weil er Spaß machte. Das erklärt noch lange nicht den Zusammenhang, den wir heute wissen. Spazieren gehen und essen machen auch Spaß, und es entstehen daraus noch lange keine Kinder.

   Ich möchte auch die Natursymbolik betrachten. Der weibliche Zyklus hat 28 Tage, der Mondzyklus hat ebenfalls 28 Tage. Welch einleuchtendes Bild: ein Sonntag Vollmond, der nächste Sonntag Halbmond, danach Neumond usw. Als wären die Frauen und die Natur eins. Monat und Mond, die Nähe dieser Worte fällt auf, man kann es auch im etymologischen Wörterbuch nachlesen. Wenn also dieser Zyklus 28 Tage dauert, so ergeben sich 13 Monate im Jahr und wir können die Zahl 13 als Weiblichkeitszahl verstehen, die natürlich im Patriarchat zur Unglückszahl umgedeutet wurde.

   An dieser Stelle möchte ich eine Hypothese einfügen, die sich durch das ganze Buch ziehen wird, die auch nicht von mir ist, sondern in den psychoanalytischen Schriften bei Freud und Jung nachzulesen ist. Die Hypothese besagt, dass die Tatsache, dass unser Bewusstsein etwas nicht weiß, noch lange nicht heißt, dass wir im Unbewussten nicht sehr wohl eine Ahnung haben. Besuchen Sie ein Aufstellungsseminar und Sie werden staunen, wie viel unbewusstes Wissen in jedem von uns ist, in Männern wie in Frauen.

   Was soll das im Matriarchat heißen? Ich denke, dass die Frau instinktiv geahnt hat, dass Sex mit einem „tollen Mann“ stärkere, gesündere, klügere Kinder erzeugt. Zumindest war sie mit einem beeindruckenden Mann zusammen, auch wenn es noch lange nicht die Einehe, die Monogamie gab. Es war der Mann, mit dem sie einige Zeit zusammenlebte und sich sexuell vergnügte.

    Möge das ein vages Vorgefühl gewesen sein, eine mystische Vorstellung oder einfach etwas, zu dem wir heute noch sagen „aus dem Bauch raus“, und damit auch im 21. Jahrhundert noch ausdrücken, dass es dafür in unserer Ratio keine Erklärung gibt. Also der tolle Mann war gefragt, der Held, der Abenteurer, der Mutige. Somit könnte die Idee schon stimmen, dass damals nur eine kleine Gruppe von Männern für den Sex und somit – ohne Wissen über den Zusammenhang – für die Fortpflanzung zur Auswahl kam. Der traurige Rest der Männer wurde für die Waldarbeit, für die Arbeit im Bergwerk, für Kriegsdienste und sonstige oft gefährliche Tätigkeiten ausgewählt. Diese Männer konnten beim Onanieren vom Sex träumen. Es war höchstwahrscheinlich die Mehrheit.

    Mir fiel einst eine Liste von Berufen, die gefährlich sind oder bei denen man zu Tode kommen kann, in die Hände. Bis auf einen Beruf – es war der Beruf der Prostituierten – waren es nur Männerberufe.

    Was spricht für diese Theorie? Sind es nicht auch heute noch die Helden, die Abenteurer, die Mutigen, die die Frauenherzen höherschlagen lassen? Sind das nicht jene Männer, die in Filmen, Romanen und Theaterstücken vorkommen? Nachdem diese kleine Gruppe Männer für den Sex der ganzen Frauengemeinschaft zur Verfügung stehen musste, ein Vorgang, der vielleicht für diese Männer gar nicht so unangenehm war, war Treue kein Thema, das ging sich niemals aus. Frauen geben es nicht gerne zu, aber immer noch ist es der Macho, der den Frauen zittrige Knie beschert, auch wenn lauthals der treue, kultivierte, einfühlsame, verlässliche und häusliche Mann gefordert wird. Die weiblichen Träume zeichnen ein anderes Bild.

    Was ein Held ist, ist ein weites Feld. So kann der Lehrer für eine Schülerin, der Arzt für eine Patientin, der Chef für die Sekretärin zum Traummann werden. Sieger, erfolgreiche und mächtige Männer sind eben erotischer als Versager. Ob das Leben mit ihnen besser ist, steht auf einem anderen Blatt.

    So betrachtet könnte auch die Theorie stimmen, dass die Männer die Monogamie erfunden haben, kommt doch jetzt eine viel größere Anzahl dieser Spezies an eine gelebte Sexualität, zumindest eine Zeit lang, bis auch dort tote Hose ist, aber darüber später.

    Das Hauptproblem ist aber, dass sich jetzt nur eine ganz kleine Zahl von Frauen einen Helden angeln kann. Wahrscheinlich sind sie bildhübsch, schlank und wahrscheinlich signalisieren sie großes Interesse am Sex. Diese bekommen jetzt einen Helden, mit all den Attributen, die diesen Abenteurern anheim sind. Sie sind eigenständig, eigenwillig, kommen und gehen, wann sie wollen, und haben viele Frauen.

Also Gratulation! Der Rest der Frauen bekommt die Kümmerer. Die braven, biederen, häuslichen, feigen Männer, die nur deshalb treu sind, weil sie für einen Seitensprung zu feig sind, die zu viel Angst haben, verlassen zu werden, und nicht den Rest ihres Lebens allein sein wollen. Archaisch gesprochen: sie wollen nicht den Rest ihres Lebens onanierend bei der Waldarbeit oder im Bergwerk verbringen. Gratulation!

Da haben wir also schon das erste riesige Problem: Frauen haben entweder einen Helden, der sie sexuell erregt, aber nicht treu ist, oder sie haben einen treuen, verlässlichen Mann, den sie als lästigen Hampelmann erleben und verachten und der sie irgendwann sexuell überhaupt nicht mehr interessiert.

Männer sind also entweder Helden, werden offiziell verachtet, aber trotzdem sexuell begehrt, oder sie sind treu und verlässlich und vielleicht schläft eine Frau gelegentlich aus Mitleid mit so einem.

Frauen haben etwas,
was Männer grundsätzlich nicht haben


Wie sehen unsere ersten Erfahrungen mit Frauen und Männern aus? Wir alle sind im Körper unserer Mütter herangewachsen, wurden von ihnen geboren, danach gestillt, gewickelt, gepflegt und somit am Leben erhalten. Leben ist also Frau/Mutter. Die Rolle des Vaters ist in der unbewussten Wahrnehmung in den allermeisten Fällen marginal. Eigentlich steht er nur im Weg herum. Es wird mit jedem Tag deutlicher: „Ich bin nur am Leben, weil es eine Frau/Mutter gibt!“ Sie ist unsere

„Schöpfergöttin“.

   Je ausgelieferter und je kleiner und hilfloser ich bin, umso prägender sind die Erfahrungen. Ein Säugling ohne Pflegeperson verhungert, stirbt elend. Wenn man mich heute – erwachsen geworden – allein lässt, kränke ich mich vielleicht, werde aber ins Wirtshaus gehen oder mir selbst etwas zubereiten und zumindest einmal nicht verhungern. Vielleicht schimpfe ich über die böse Welt, vornehmlich über das „blöde und verderbte Weibervolk“, vielleicht gehöre ich aber auch zu der kleinen Gruppe, die sich fragt, warum sie verlassen wurde. Ich rede jetzt mit Freunden und Bekannten oder beginne eine Psychotherapie, um Klarheit über das Thema zu bekommen. Vielleicht gründe ich eine Selbsthilfegruppe von Menschen, die alleine sind. Aber was macht ein Säugling?

   Obendrein muss wohl so ein Winzling seine Eltern, aber wahrscheinlich mehr die Mutter, weil sie meist doch näher beim Kind lebt, als geradezu göttlich erleben. Der Säugling kann nichts, aber Mutter „kann alles“, betätigt einen Knopf und es wird Licht, einen anderen Knopf und es erscheint ein Bild. Sie dreht in einem Topf oder schüttelt etwas und es gibt Essen. Im Geschäft legt sie einige Papierln hin und man bekommt Eis, Vollkornstangerln und Schokolade.

   In einem Internetforum, unter dem Stichwort Matriarchat, fand ich folgenden Text:

   „Ein ältester Kikuyu-Häuptling erinnert sich an den mütterlichen Körper:  

   Zuerst war sie immer da; ich erinnere mich an das angenehme Gefühl ihres Körpers, als sie mich auf dem Rücken trug, und an den Geruch ihrer Haut in der Sonnenhitze. Alles kam von ihr. Wenn ich hungrig oder durstig war, schwenkte sie mich nach vorne vor ihre vollen Brüste. Noch jetzt fühle ich, wenn ich heute die Augen schließe, dankbar das Behagen, das mich erfüllte, wenn ich meinen Kopf in ihrer weichen Fülle barg und die süße Milch trank. Nachts, wenn die Sonne nicht mehr wärmte, traten ihre Arme, ihr Körper an ihre Stelle, und als ich älter wurde und mich für andere Dinge zu interessieren begann, konnte ich diese ohne Angst von ihrem Rücken aus betrachten. Wenn ich schläfrig wurde, brauchte ich nur die Augen zu schließen.“

    An dieser Stelle ist zu hoffen, dass sich der Vater nicht zur Seite drängen lässt, sich als Mann und Vater aktiv einbringt und damit verhindert, dass ein göttlich übermächtiges Bild der Mutter im Kind entsteht. Denn, bedenken Sie bitte auch, wie das die spätere Paarbeziehung zerstören würde: das Bild der übermächtigen Frau und das Bild vom unnötigen, überflüssigen Mann! Diese inneren Darstellungen bleiben nämlich lange, lange, vielleicht ewig erhalten, auch dann in der erwachsen gewordenen Frau, im erwachsen gewordenen Mann.

   Und hier nur ein kurzer Quergedanke: Können die Eltern es genießen, aber nicht missbrauchen, dass sie jetzt so unglaublich toll gesehen werden? Die Prüfung erfolgt zuerst in der Trotzphase, wo die „göttliche Mutter“ plötzlich ein „Nein“ hört, und später in der Pubertät. Halten es die „göttlichen Eltern“ aus, wenn sie jetzt vom Thron gestoßen werden? Wenn sie ihre Kinder lieben, freuen sie sich darüber, dass diese erwachsen werden und den Mut haben, diesen Weg der Eigenständigkeit zu gehen.

   Wir alle sind nur auf der Welt, leben, atmen, denken und spüren, weil es unsere Mutter gab – eine Frau. Wer sich in diese Gedanken wirklich einfühlen kann, der spürt geradezu das Matriarchat. Wir haben uns im Christentum an einen Vatergott gewöhnt, aber die Kulturgeschichte begann mit der „großen Göttin“, ob sie nun Gaia, Metis, Rhea, Hülda, Erda oder sonst wie genannt wurde.

   Man bekommt vielleicht eine Ahnung, welch unglaubliche Qualen ein Baby erlebt, egal ob Bub oder Mädchen, wenn es die liebende Mutter nicht hat. Nur Künstler können diesen Schmerz wirklich ausdrücken.

 

   Der Schrei nach meiner Mutter ist verstummt.

   Ich lege meine Hände in den Schoß.

   Ich will nicht denken.

   Ich will das Kreuz verlassen

   das mich so lange gehalten hat.

   Ich will meine Schmerzen streicheln

   bis sie meiner Liebe überdrüssig sind. 7

                                      Peter Turrini

 

Bis daher sind die Erfahrungen von Buben und Mädchen identisch. Aber der Sohn muss sich von der Mutter lösen, sonst kommt er als „Muttersöhnchen“ ordentlich ins schiefe Licht. Er ist jetzt bedroht, die Lebensspenderin, seine Lebensquelle, das Weibliche, vorerst also die Mutter, zu verlieren. Er ist bedroht, es muss schnell eine neue Lebensquelle her, ein Mädchen. Somit verstehen wir die vielen Rituale, wie sich Burschen darstellen, wenn sie auf den Maibaum klettern oder im Sport Höchstleistungen erbringen wollen. Junge Männer nehmen unglaublich viel, oft Gefährliches auf sich, um für ein Mädchen, eine junge Frau interessant zu sein. Sind Männer wirklich begabter als Frauen, wenn doch so viele künstlerische, wissenschaftliche und kulturpolitische Leistungen von Männern erbracht wurden? Oder liegt das darin begründet, dass Männer viel mehr unter Druck stehen, sich und ihrer Umwelt ihre Existenzberechtigung zu beweisen? Sich eine Partnerin zu verdienen, wenn sie so tüchtig sind?

 

   Können wir jetzt eher verstehen, dass nur ca. 20 % der Scheidungen von Männern eingereicht werden? Und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Männer bereits ein neues Weibchen zur Seite haben. Können wir jetzt verstehen, dass Männer unter Trennungen mehr leiden als Frauen, auch wenn Männer diese Gefühle verstecken, vielleicht mit Alkohol zuschütten? Können wir jetzt verstehen, dass Männer, die verwitwen, sich schnell eine neue Partnerin suchen, und dies, obwohl heute fast alle Männer kochen und bügeln können? Finden Witwer keine Frau mehr, so versandeln sie meist. Allein lebende Witwer liefern ein ganz anderes Bild als Witwen, die in der Regel sehr eigenständig und befriedigend ihr Leben meistern.

   August Strindberg meint zu diesem Thema: „Sollte es wirklich einmal zu einem Kampf zwischen den Geschlechtern kommen, dann werden die Frauen siegen, weil die Männer die Frauen mehr lieben als die Frauen die Männer.“ Natürlich bleibt es offen, ob Männer liebesfähiger sind oder ob sie abhängiger sind.

   Wie ist das bei Mädchen? Ihre Erfahrungen mit der Mutter sind die gleichen wie die der Buben. Aber Mädchen gehören ebenfalls zu dieser Kategorie der Lebensspenderinnen. Sie haben an sich selbst den nährenden Busen, sie haben in sich die Geborgenheit gebende Gebärmutter, in der Leben heranwachsen kann, und eine Vagina, aus der das Leben heraustreten kann. Schließlich ist die Vagina der Ort, aus dem wir alle gekommen sind. Der Ort, wo die Vertreibung aus dem Paradies erfolgte. Jetzt ist die Zeit der absoluten, bedingungslosen Liebe vorbei, von nun an sind wir auf der Schiene der Leistung. Hoffentlich erleben wir noch eine Zeit tiefer Liebe ohne Anforderungen, aber bald schon wird ein Lächeln, das Sitzen und Gehen, Worte wie Mama und Papa und und und ... von uns verlangt.

Mädchen gehören somit von Anfang an zur Gruppe der Königinnen. Was Männer können, können sie auch, aber was sie in sich tragen, das Mysterium des Lebengebens, da sind die Männer draußen.    

   Die Begriffe „Königin“ und „König“ möchte ich an dieser Stelle einmal genauer betrachten. Meist meinen Märchen mit Königin eine Frau, die wirklich bei sich ist, ihr Leben lebt, ihre Begabungen und Fähigkeiten umsetzt und ganz sie selbst ist.

Niemand ist glücklicher und macht auch seine Umgebung glücklicher als ein solcher Mensch. Eine Prinzessin oder ein Königssohn ist erst auf dem Weg. Man kann dies an der Prinzessin im Froschkönig wahrnehmen, die noch dem Vater gehorcht, zumindest anfangs, oder am Königssohn in Aschenputtel, wo noch der Vater für ihn die Feste organisiert.

   Anselm Grün und Linda Jarosch definieren die Königin so: „Die Königin herrscht über sich selbst und wird nicht von anderen beherrscht. Sie bestimmt ihr Leben so, wie sie selbst es möchte. Sie vergleicht sich nicht mit anderen, sondern steht in sich selbst. Sie ist Königin in ihrem Reich.“ 8

   Eine solche Frau ist eine unendliche Bereicherung – für sich selbst, für ihren Partner, für ihre Kinder und für alle in ihrem Umfeld.

    Aber es gibt die Königin auch in einer problematischen Ausgabe. Man kann an die peinliche Königin in Schneewittchen denken, die nur vor dem Spiegel sitzt, um von ihm zu hören, dass sie die Schönste wäre, und die nicht ertragen kann, dass ihre junge Tochter inzwischen viel hübscher geworden ist. Ich spreche von jenen Königinnen, die meinen, sie hätten von Haus aus ein Anrecht auf Verehrung, bloß weil sie eine Frau sind, bloß weil es sie gibt. Und sie müssten gar nichts dafür tun – weder liebevoll, noch tüchtig und schon gar nicht weise sein.

    Schon Sokrates meinte: „Einmal gleichberechtigt, werden die Frauen den Männern grundsätzlich überlegen sein.“ Meist so übersetzt: „Eine Frau gleichgestellt, wird überlegen.“ Hier wird nicht differenziert zwischen einer gereiften und einer selbstsüchtigen Frau.

    In diesem Licht besehen wird es verständlich, dass inzwischen bereits der „Gebärneid der Männer“ diskutiert wird. Könnte auch diese Spezies Kinder in die Welt setzen, wäre die Gleichwertigkeit wieder hergestellt.

    Christa Rohde-Dachser kommt mit anderen Worten zu den gleichen Schlüssen. „Für beide Geschlechter, Junge und Mädchen, ist das erste Beziehungsobjekt in der Regel die Mutter und somit eine Frau. Dies schafft eine grundlegende ‚Asymmetrie‘ der Geschlechter, die gleichzeitig auch die Weichen für ihr entwicklungsbedingtes Auseinanderdriften stellt. [...] Früher oder später muss das Kind nun erkennen, dass die Zuordnung zu einem Geschlecht irreversibel ist. Das bedeutet gleichzeitig, endgültig auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des anderen Geschlechts verzichten zu müssen. Mann oder Frau sein eröffnet damit nicht nur neue Möglichkeiten; es begrenzt gleichzeitig auch den scheinbar omnipotenten Raum.“ 9

    Das Griffigste an diesem Ideengebäude ist aber, dass sich der Junge wohl nicht als Mann oder wenigstens als männlich erleben kann. Er kann nur wahrnehmen, dass er keine Mutter, keine Frau ist, von der bis jetzt fast alle Liebe, Versorgung, Schutz und Lebensbewältigung kam, er ist „Nicht-Mutter“, er ist „Nicht-Frau“. Mit dieser sprachlichen Nicht-Formulierung drückt Rohde-Dachser sehr viel aus. Es ist ein Unterschied, ob ich Psychologe bin oder ein Nicht-Arzt, ob ich ein Autor bin oder ein Nicht-Verleger. Ich bin als Mann eine „Nicht-Frau“. Was ist das?

    Wie schwer ist es für den heranwachsenden Knaben, zu einem gesunden Selbstwertgefühl zu kommen. Und wer Selbstzweifel hat, den kann man leicht manipulieren, ob im Beruf oder in der Partnerschaft.

    Der Kabarettist Viktor Gernot bringt es in einem Sketch so auf den Punkt: Er zeigt, wie praktisch das Handy ist. Man sieht, wer anruft, und kann unliebsame Anrufer wegdrücken. Drei Mal hintereinander drückt er ab: „Karli, nein, nicht heute“, „Petra, nicht schon wieder, weg“ usw. Es läutet ein viertes Mal. Blitzschnell ist das Handy am Ohr und mit glockenheller Stimme sagt er: „Hallo Mama!“

    In einer Kolumne von Petra Hauk (Wienerin, 6/2010) konnte man lesen: „... Szenen, in denen die Stars zu lachen anfangen, weil etwa mitten im wilden Geschmuse das Handy des Schauspielers zu klingeln beginnt und die Mama am Telefon ist.“  

Machen wir einen Sprung vom Kabarett zur hohen Kunst. Wieso berührt uns die Pieta von Michelangelo im Petersdom? Der Leichnam Jesu in den Armen seiner Mutter. Kehrt auch er im Tod zur Mutter zurück? Selbst Jesus, der als Gott definiert wird? Michelangelo, der Großmeister der italienischen Renaissance, hat dieses Thema noch zwei Mal bearbeitet. Seine letzte, in Florenz zu sehende Pieta, ein unvollendetes Werk, war der Überlieferung nach von ihm als eigener Grabstein gedacht. Jesus in den Armen seiner Mutter, links Maria Magdalena und dahinter ein Mann, der Michelangelos Züge trägt.

    Weniger pietätvoll, aber offensichtlich wahr ist die Geschichte von einem bekannten Sportjournalisten, der in einem Stundenhotel in den Armen seiner Geliebten gestorben sein soll. Und ganz besonders interessant die Reaktionen von Frauen und Männern. Die weiblichen Stellungnahmen waren „schrecklich, furchtbar ...“, die Männer sprachen von einem wunderbaren Tod.

    Der Milliardär Gunter Sachs hatte sogar eine Prämie ausgesetzt für jene Frau, in deren Armen er beim Sex sterben würde. Tatsächlich starb er jedoch kürzlich durch Suizid.

    Tod und Mutter scheinen ein Thema zu sein, und philosophisch betrachtet ist das überhaupt nicht absurd. In der Mutter entstand das Leben, ergo muss sie auch für den Tod stehen. In ihr vereinigen sich das A und das O des Lebens, Geben und Nehmen, Liebe und Verachtung, Verständnis und Streit, Leben und Tod. In den romanischen Sprachen ist der Tod weiblich (la mort, la morte ...). In machen Mythen verwandeln sich Tote in Bäume (Daphne, Philemon und Baucis), als Symbol des immerwährenden Reigens von Tod und Wiedergeburt.

    In Kriegsberichten kann man nachlesen, dass Sterbende nach der Mutter rufen und Spitalsärzte und Angehörige bestätigen die Erfahrung, dass Menschen, die dem Tode nahe sind, immer wieder „Mama“ rufen.

    Ich selbst kann auch eine persönliche Geschichte erzählen. Ich ging abends mit dem Hund noch eine Runde, als ich in einer wenig befahrenen Straße eine alte Frau, offensichtlich verwirrt, mitten auf der Fahrbahn stehen sah. Ich ging hin, fragte sie, was los wäre, aber sie stammelte nur Unverständliches. Ich fragte, wo sie wohnte, aber sie wusste es nicht. Also beschloss ich, mit ihr zur nächsten Polizeistation zu gehen, die würden wissen, was jetzt zu tun sei. Und die Polizisten waren nett und umsichtig und kümmerten sich um die alte Dame. Eingebrannt in mein Gedächtnis bleibt mir aber, dass die alte Dame, die locker meine Mutter, vielleicht sogar meine Großmutter hätte sein können, immer wieder stehen blieb und herzzerreißend „Mama“ sagte. Immer wieder blieb sie stehen und rief in ihrer Not: „Mama!“ Mir kommt es vor, als hörte ich sie immer noch „Mama“ rufen.

   In Verdis Oper Il Trovatore (Der Troubadour) kämpfen zwei Männer um die Liebe einer Frau. Manrico, der Troubadour, erringt die Liebe von Leonora. Manrico ist am Ziel seiner Träume, als ihn die Botschaft erreicht, dass seine Mutter gefangen genommen wurde und hingerichtet wird. Er singt: „Mutter, ich werde dich befreien oder mit dir gemeinsam sterben.“ Mit diesen Worten verlässt er seine Geliebte. Wie selbstverständlich legt sich das Mutterthema über die Liebesgeschichte.

   Klausbernd Vollmar meint dazu in einem Vortragsmanuskript: „Wenn der Mann zum Kind regrediert, das wieder Mamis Brust will und das es in die Möse zurückzieht, dann hat die Frau wieder leichtes Spiel. Sie rächt sich an ihm, indem sie ihn als sabbernden, geilen Alten behandelt – wobei die eigenen Anteile an der Verführung (wie immer) schnell vom Tisch gewischt werden, denn alte Männer wollen immer nur das Eine, das wissen wir doch.“ 10

   In der größten Not, in der Todesangst gibt es nur mehr einen Schutz: die Mutter. Die unendlich große Frage dahinter ist: Wie sollen, können und müssen die Männer damit umgehen? Das Weibliche abzuwerten und zu unterdrücken, es als dienend und unterlegen zu definieren, wie dies über ca. 3.000 Jahre im Patriarchat geschah, kann ja wohl nicht die Lösung sein.

   Eine Untersuchung ergab, dass 55 % der Männer ihren Partnerinnen vertrauen, aber nur 40 % der Frauen den Männern. Das könnten sich Frauen verdient haben, weil sie liebevoller und verlässlicher sind. Es könnte aber auch einer männlichen Sehnsucht entsprechen, weil diese das Weibliche so dringend brauchen, zumindest viel mehr als das umgekehrt der Fall ist. (Kurier, 15.2.2011)

 

           Matthias Meyvogel: Caritas Romana, Die römische Zuwendung, 1628

 

Im Museum der Bildenden Künste in Budapest hängt ein Bild von Matthias Meyvogel. Es zeigt einen sitzenden Mann, die Hände am Rücken zusammengebunden. Eine Frau beugt sich fast liebevoll, mit entblößter Brust zu ihm und reicht ihm ihren rechten Busen zum Mund.

Das nächste schier unlösbare Problem: Wie sollen sich eine Frau und ein Mann als gleichwertige Partner gegenübertreten? Sie ist die Leben spendende Königin, er ist der Waldschrat, der für sich vielleicht durch tolle Leistungen eine Nische findet, aber was ist mit ihm, wenn die Leistungen nachlassen, er in Pension geht, alt oder krank geworden ist?