Liebe annehmen - eine Kunst von Harville Hendrix, Ph.D. und Helen LaKelly Hunt, Ph.D.

 

Lass Dich lieben und verändere dadurch Deine Beziehung.

 

 

Über dieses Buch

Liebe zu schenken ist leichter als Liebe anzunehmen. Bisweilen merken wir gar nicht, wie erfinderisch wir sind, wenn es darum geht Positives abzuwehren. Schon in unserer Kindheit gewöhnen wir uns daran, nicht zu viel vom Leben zu erwarten. Streng zu uns selbst zu sein wird zur Normalität.

Erst wenn wir die unbewussten Mechanismen durchschauen, mit denen wir unsere Erfüllung und unser Glück sabotieren, können wir uns innerlich öffnen und den Weg freimachen für echte Veränderungen in unserer Partnerschaft.

Über die Autoren

Harville Hendrix, Ph.D., und seine Frau Helen LaKelly Hunt, Ph.D., begründeten die außergewöhnlich erfolgreiche Imago-Paartherapie, einen heilenden Weg für Paare aller Altersstufen und Lebensumstände. Inzwischen gibt es weltweit schon mehr als 2.000 Imago-TherapeutInnen und immer mehr Imago-Workshop-Presenter. Harville und Helen können bereits auf mehr als 30 Jahre Erfahrung in der therapeutischen Arbeit mit Paaren zurückblicken. Harville hält großartige Vorträge und leitete gemeinsam mit seiner Frau unzählige Paar-Workshops. Helen ist in der Frauenbewegung aktiv und wurde für ihr großes Engagement für das weibliche Selbstbewusstsein mit einer Eintragung in die National Women’s Hall of Fame geehrt.

Helen und Harville haben sechs Kinder und leben in New York und in New Mexico.

Inhalt

Anmerkung der Übersetzerin  . . . . . . . . . . .    6

Danksagungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . .    7
Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   10

Teil I  Das Problem verstehen . . . . . . . . . .   23
      1 Nichts ist jemals gut genug . . . . . . .   25
      2 Drei problematische Ehen  . . . . . . . .   39
      3 Die unbewusste Partnerschaft  . . . . . .   60
      4 Fehlende Selbstannahme wurzelt
        in der Kindheit . . . . . . . . . . . . .   80
      5 Sich selbst ablehnen - Liebe ablehnen . .  112

Teil II Die Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 137
      6 Partnerschaft - wissenschaftlich
        betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . 139
      7 Liebe annehmen lernen  . . . . . . . . . . 154
      8 Kontakt, Beziehung und Verbundenheit
        herstellen . . . . . . . . . . . . . . . . 172
      9 Eine neue Wende in unserem Leben . . . . . 190

Teil III Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
      Übung 1 Das Geschenk-Tagebuch  . . . . . . . 220
      Übung 2 Der Imago-Dialog . . . . . . . . . . 224
      Übung 3 Verschiedene Arten des Wahrnehmens
              und Wissens erlernen . . . . . . . . 228
      Übung 4 Das Annehmen und das Geben üben  . . 234
      Übung 5 Positives Überfluten . . . . . . . . 238
      Übung 6 Ihr „Liebe-Annehmen“-Quotient
              Ein Test . . . . . . . . . . . . . . 240
      Übung 7 Ihr „Liebe-Geben“-Quotient Ein Test  244
      Übung 8 Ihre Imago . . . . . . . . . . . . . 247
      Übung 9 Nähe und Intimität . . . . . . . . . 254
      Übung 10 Unsere innere Ganzheit
               zurückgewinnen  . . . . . . . . . . 266
      Übung 11 Entdecken Sie das Potenzial, das
               in Ihnen schlummert . . . . . . . . 275

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
IGÖ - Imago Gesellschaft Österreich  . . . . . . . 289
Anhang - Fußnoten  . . . . . . . . . . . . . . . . 290

Hinweis: Die Arbeitsblätter zu allen Übungen finden Sie auch im DIN A4-Format als PDF-Download unter der Webadresse: (nur im Buch!)

Anmerkung der Übersetzerin

Das Wort Partner zählt zu den am häufigsten verwendeten Ausdrücken dieses Buches. Selbstverständlich bezieht es sich stets auf beide Geschlechter.

Gerne hätten wir für viele Passagen auch die weibliche Form „Partnerin“ gewählt, um eine Ausgewogenheit zu erreichen. Da diese Form jedoch die männlichen Partner ausschließt, hätte das unter Umständen den Eindruck vermittelt, dass manche Textstellen nur für Frauen gedacht seien.

So haben wir zur Vermeidung jeglicher Missverständnisse und im Sinne einer guten Lesbarkeit meistens den Ausdruck „der Partner“ verwendet. Es liegt uns daher besonders am Herzen, noch einmal zu betonen, dass wir dabei stets weibliche wie männliche Partner gleichermaßen im Blick hatten.

In exemplarischer Weise haben wir an manchen Stellen, wo dies möglich war und keine Verwirrung zu stiften schien, nur die weibliche Form „Partnerin“ gewählt.

Den beiden Formulierungen „separate knowing“ und „connected knowing“ haben wir uns sowohl durch die Worte „punktuelles“ und „vernetzendes Wahrnehmen“ als auch gegebenenfalls durch unterstützendes Beiziehen der Ausdrücke „Sachebene“ und „Beziehungsebene“ angenähert. Was den Begriff „relational knowing“ angeht, so haben wir ihn nach reiflicher Überlegung nicht durch einen singulären Ausdruck übersetzt, sondern durch die Umschreibung „ausgewogene Balance durch Integrieren von punktuellem und vernetzendem Wahrnehmen“.

Danksagungen

Jedes Buch entsteht in gewisser Hinsicht aus unzähligen Partnerschaften mit anderen Menschen und mit anderen Denkansätzen.

In besonderer Weise möchten wir den zahlreichen Paaren danken, deren Leben und deren Entwicklung sich in den Seiten dieses Buches widerspiegeln. Hätten sie nicht den Mut gehabt, sich zu öffnen und ihre Verletzlichkeit einzugestehen, hätten wir dieses Buch weder planen noch schreiben können. Einerseits durften wir viele Paare in der Therapie ein Stück ihres Lebensweges begleiten, andererseits teilten viele Menschen uns ihre persönlichen Erfahrungen im Heilungs- und Entwicklungsprozess im Rahmen unserer wissenschaftlichen Dokumentationen schriftlich oder am Telefon mit.

Wir möchten auch den vielen Imago-Paartherapeuten herzlich danken, die uns an ihren Erfahrungen rund um den Themenbereich „Liebe annehmen“ teilhaben ließen, ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Erkenntnisse beisteuerten und uns in unserem Bemühen um wissenschaftliche Auswertungen unterstützten.

Unserer Assistentin Sanam Hoon gebührt besondere Anerkennung für die unermüdliche und großartige Leitung unseres wissenschaftlichen Forschungsprojekts über Paare und dafür, dass sie aus all den Interviews verwertbare Informationen zusammentrug.

Unser herzlichster Dank geht weiters an unsere BüromitarbeiterInnen, die uns enorm viel abgenommen haben, damit wir ausreichend Zeit zur Fertigstellung dieses Buches finden konnten: Michell, Sally, Rich, Nedra und unsere Haushälterin Eileen.

Darüber hinaus möchten wir uns bei jenen Menschen in unserem Leben bedanken, die uns ganz persönlich geholfen haben zu lernen, wie man Liebe annehmen kann. Erfahrene und einfühlsame Imago-Therapeuten der Imago Community erkannten, dass wir beide zwar Liebe schenken konnten, aber erst lernen mussten, das Annehmen von Liebe auf neuen Ebenen zu erlernen - wobei sie uns geduldig und liebevoll begleiteten. Wir schätzen euch sehr und danken jedem und jeder einzelnen von euch!

Unser großer Dank gilt Barney Karpfinger, unserem Agenten und Freund, der unsere Stütze und unser Manager in diesem gesamten Buchprojekt war.

Weiters möchten wir Tracy Behar danken, unserer Herausgeberin bei Atria Books, sowie ihren Kolleginnen Suzanne O’Neill, Judith Curr und Wendy Walker, die immer für uns da waren und uns unterstützten. Ohne sie hätten wir es nie geschafft, dieses Buchprojekt fertig zu stellen.

Zum Schluss möchten wir auch Reverend Dr. James Forbes, dem Pastor der Riverside Church in New York City, sehr herzlich danken. Er war nicht nur Zelebrant unserer persönlichen Feier zur Erneuerung des Eheversprechens, sondern organisierte auch mehrere Imago-Paarworkshops in seiner Kirchengemeinde. Wir finden es sehr passend, zum Abschluss unserer Danksagungen ein Gedicht vorzustellen, das Dr. Forbes persönlich verfasst hat. Es berührt sehr treffend jenes Dilemma, welches das Herzensanliegen unseres Buches darstellt.

Liebe annehmen und schenken

Ich bin noch ein Neuling im Nehmen.
Das Geben war immer mein Drang.
Doch Geben so ganz ohne Nehmen,
Macht bald, viel zu bald, sterbenskrank.

Ist das Einlassventil geschlossen,
Man keinerlei Nachschub mehr kriegt.
Und so kommt im Leben schlussendlich der Punkt,
Wo der Auslass für immer versiegt.

Dem Vakuum kann man keine Liebe entzieh’n,
Noch eher fließt Wasser aus Stein.
Vergebliches Mühen, nach fruchtlosem Tun
Sind frustriert wir, erschöpft und allein.

„Geben ist seliger denn Nehmen!“
Dieser Satz hat schon viele begeistert.
Doch hat nur die Seele, die annehmen kann,
Die Hochkunst des Gebens gemeistert.

Reverend Dr. James A. Forbes Junior
Senior Pastor, The Riverside Church, New York City
Copyright 1995, New York City

Unser besonderer Dank gilt ...

Jean Coppock Staeheli, unserer Co-Autorin und Freundin seit vielen Jahren. Wir möchten ihr unseren besonderen Dank aussprechen für ihr unermüdliches Engagement, dieses Projekt zur Vollendung zu bringen. Mit ihrer beeindruckenden schriftstellerischen Begabung gelang es ihr, zahllose nebenbei entstandene Notizen, Gespräche und Fallbeispiele zu integrieren und Ordnung in unser Chaos zu bringen. Wir sind ihr überaus dankbar für ihr Durchhaltevermögen während dieser intensiven Monate - und für ihre Geduld bei unserem gemeinsamen Bemühen, aus all unseren Unterlagen das Wesentliche herauszufiltern und in Buchform zu bringen. Herzlichen Dank dafür!

Widmung

Es ist uns ein Anliegen, dieses Buch dem Vorstand von Imago Relationships International Inc. zu widmen - Sara Boxnboim, Ronald Clark, Dan Glaser, Suzette Loh, Michael Borash, Maureen Brine, Bruce Crapuchettes, April Lorenzen, Karl Leitner, Robert Patterson, Kay Schwarzberg, Virginia Thomas, Pam Monday, Wendy Patterson, Eugene Shelly, Maryrita Wieners.

Imago Relationships International Inc. ist eine Non-Profit-Organisation, die von Imago-Therapeuten geleitet wird. Ihr Ziel ist die Unterstützung aller ImagoTherapeutInnen und Imago-Educators weltweit. Wir widmen unser Buch ihrer großen Vision: „Wenn wir einzelne Paare verändern, verändern wir die Welt.“

Einleitung

Vor 26 Jahren begann unsere Partnerschaft mit einer leidenschaftlichen Diskussion über den Stellenwert von „Beziehung“. Eine gute Stunde unseres ersten Treffens verbrachten wir damit, darüber zu rätseln, was Dostojewski eigentlich meinte, als er in Die Brüder Karamasow den Gedanken formulierte, dass Gott weitaus leichter in menschlicher Liebe als im menschlichen Intellekt zu finden sei. Da wir uns ja eben erst kennen gelernt hatten, war dies mehr eine philosophische Frage als eine der persönlichen Erfahrung, aber es war von Beginn an schön zu sehen, dass wir ein relativ ungewöhnliches Interesse teilten. Zwischen Passagen über unsere jeweilige Vorehe und unsere vier Kinder gestanden wir einander, wie fasziniert wir von der Erkenntnis waren, wie viel die alltäglichen Erfahrungen von Verliebtheit, Liebe und Bindung darüber aussagen, was es im Tiefsten bedeutet Mensch zu sein.

Und nun, 26 Jahre später, sind wir von diesem Thema genauso fasziniert wie damals. Wir haben unsere Karriere der Aufgabe gewidmet, die Überraschungen und Paradoxa in Liebesbeziehungen zu erforschen. Zwei Menschen, die beide mit deutlichen Defiziten behaftet sind, können manchmal die wunderbarste Beziehung führen, während zwei andere, die scheinbar die besten Voraussetzungen haben, vielleicht eine belastende Partnerschaft haben. Wie kommt das?
Dieser und vielen ähnlichen Fragen gehen wir seit 1991 in einer Reihe von Büchern nach, die eine Therapieform beschreiben, die wir „Imago-Beziehungstheorie“ getauft haben. Unser erstes Buch, So viel Liebe wie Du brauchst (orig. Getting the Love You Want) , zeigt Paaren, welche versteckten Kräfte in allen Beziehungen wirksam sind, und offeriert Strategien, mit deren Hilfe negative Interaktionen zu Chancen für liebevolle Verbundenheit werden können. Harville schrieb 1992 das Buch Ohne Wenn und Aber (orig. Keeping the Love You Find) 3 , das gleichermaßen höchst interessant für Partner ist, sich aber auch besonders an Singles wendet, die sich wünschen, durch Beziehungen oder Partnerschaften außerhalb einer Ehe als Persönlichkeiten zu reifen. Und später, 1998, veröffentlichten wir So viel Liebe wie mein Kind braucht (orig. Giving the Love that Heals) für Eltern, die zu ihren Kindern eine bewusste, respektvolle und fördernde Beziehung aufbauen wollen. Und während unsere damaligen Ansichten über die Gesetzmäßigkeiten von gegenseitiger Anziehung und Glück in Beziehungen auch noch heute volle Gültigkeit haben, wissen wir heute wesentlich mehr über all die verborgenen Stolpersteine, welche auch die besten Absichten zum Scheitern bringen können.


Dieses Buch hat uns wieder zurückgeführt zu unserer ursprünglichen Faszination über die Möglichkeiten, die die Ehe bietet. Trotz des Anstiegs der Scheidungsrate in den USA auf über 50 Prozent glauben wir fest an das gewaltige Potenzial, das die Ehe unverändert in sich birgt. Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, wie sich die Institution der Ehe gewandelt hat. Früher stand die Frage im Mittelpunkt, was am besten für die beiden Individuen ist, nun ist es die Frage: „Was ist am besten für die Beziehung selbst?“ Wir glauben keines wegs, dass das Konzept der Ehe an sich nicht funktioniert; was scheitert, ist unsere gegenwärtige, eigensüchtige Form der Ehe.

Es besteht immer Hoffnung, eine Beziehung zwischen zwei isolierten Individuen in eine echte, funktionierende Partnerschaft zu verwandeln. In jeder Union zweier Menschen gibt es das Potenzial, dass zwei verwundete Seelen heilen und sich allein durch die Tiefe ihrer Beziehung entwickeln können. Die dauerhafte Beschäftigung mit einem langfristigen Beziehungspartner kann eine persönliche Verwandlung ungeahnten Ausmaßes bewirken. Mehr noch, wir glauben, dies ist sogar die deutlichste Form einer solchen Verwandlung. Ehe mag zwar manchmal wie ein Glücksspiel erscheinen, aber der mögliche Haupttreffer - nämlich geistige und spirituelle Vollkommenheit - ist jeden Einsatz wert. Unser Ziel ist lediglich herauszufinden, wie wir den Einfluss des Zufalls minimieren und die Chancen auf den Haupttreffer maximieren können.

Mehr als je zuvor sind wir davon überzeugt, dass eine Partnerschaft die Kraft hat, unsere Identität zu erschaffen und neu zu erschaffen. Vom Moment der Geburt an lernen Kleinkinder und ihre Eltern, wie sie in einem faszinierenden System von gegenseitigem Austausch das Überleben des Kindes gewährleisten können. Das Kind speichert diese frühen Beziehungserfahrungen und zieht sie im späteren Leben als Bauplan für neue persönliche Bindungen heran. Obwohl es letztendlich möglich ist, diese grundlegenden Beziehungsmuster noch zu verändern, ist es freilich sehr aufwendig, diese ersten Eindrücke auszulöschen und vorsichtig neue Richtlinien zu entwickeln. Glücklicherweise liegt es in unser aller Macht, diese Muster, wenn nötig, umzuprogrammieren, um dadurch bessere Partner und Wegbegleiter zu werden - wir müssen es nur aus tiefstem Herzen wollen.

Neben der enormen Bedeutung dieser familienbezogenen Beziehungsmuster werden Partnerschaften mit anderen auch stark geprägt von der Beziehung, in der man zu sich selbst steht. Ob ein Kind lernt, sich selbst zu akzeptieren oder sich ständig abzulehnen, wird alle späteren Beziehungen, speziell zu Liebespartnern, bis ins letzte Detail beeinflussen. Je nachdem, wie man sich selbst betrachtet, wird man auch dem Partner mit Anerkennung oder Ablehnung entgegentreten. Schafft man es, seine Beziehung als einen Weg zu mehr Selbstachtung und Selbstvertrauen zu nützen, dann wird man auch ein besserer Partner sein. Positive Veränderungen in der Beziehung werden immer auch positive Veränderungen im eigenen Leben zur Folge haben.

Im Mittelpunkt unserer bisherigen Bücher stand das Bestreben, die Eigenheiten der menschlichen Natur in Beziehungen und Partnerschaften zu verstehen und zu erklären. Und dieses Interesse an der menschlichen Natur führte uns schließlich zu einer wesentlich größeren und tief gehenderen Frage: „Wie muss ein Universum beschaffen sein, in dem sich die Dynamik von intimen Partnerschaften so verhält, wie wir es tagtäglich beobachten?“ Unser übergeordnetes Interesse galt dem Versuch, besser zu verstehen, wie wir uns als menschliche Lebewesen in das kosmische Gewebe unseres Seins einordnen. Die Frage nach der Beschaffenheit unserer Realität, dessen, was ist, ist im Kern eine ontologische Frage. Unser Zugang zu dieser „Gretchenfrage“ war jedoch einer, der sich an einer alltäglichen Beobachtung orientierte: es ist eine Tatsache, dass Paare streiten. Wir wollten genau herausfinden, warum Paare streiten, und entwickelten schließlich eine Theorie, welche die grundlegenden Gesetze von Anziehung und Abstoßung zwischen Ehepartnern beschreibt. Als Konsequenz dessen begann es uns extrem zu interessieren, wie Menschen psychologische Konzepte nutzen können, um ihr eigenes Verhalten nicht nur verstehen, sondern auch verändern zu können.

Im vorliegenden Buch setzen wir diesen Leitfaden unserer psychologischen Forschung fort und erweitern ihn um die Frage, warum viele Menschen solche Schwierigkeiten haben, Komplimente und positives Feedback von ihren Partnern aber auch von anderen Menschen annehmen zu können. Allerdings erweitern wir die praktische Diskussion über die Wichtigkeit des Annehmen-Könnens in Liebesbeziehungen um eine weitere philosophische Frage: „Wie wissen wir, was wir wissen?“ Dies ist die zentrale Frage der Epistemologie, eines der Philosophie untergeordneten Wissenschaftszweigs, der sich mit der Herkunft, der Beschaffenheit, den Methoden und den Grenzen des menschlichen Wissens beschäftigt. Im vorliegenden Buch werden wir genau beobachten, wie wir alles, was wir wahrnehmen und „wissen“ in der Folge aufnehmen, einordnen und anwenden. Obwohl Fragen über fundamentale Gesetze menschlichen Verhaltens genaugenommen in den Bereich der Psychologie, und jene über das „Wissen“ an sich in den der Epistemologie fallen, werden wir diese Diskussionen so „benutzerfreundlich“ wie möglich führen, um schließlich Strategien zu schaffen, mit deren Hilfe wir besser mit unserem Partner umgehen und unser eigenes Verhalten positiv verändern können.

Und schließlich sind wir auch froh, dieses Buch genau zu einem Zeitpunkt schreiben zu können, wo neueste Erkenntnisse aus dem Bereich der Neurobiologie mehr und mehr die biologischen Mechanismen zu beschreiben beginnen, welche allen psychologischen Erkenntnissen und Beobachtungen zu Grunde liegen. Viele Wissenschafter sind sich nun einig, dass der menschliche Verstand alle Grenzen unseres heutigen Wissens sprengt. Es ist ungemein spannend, den jeweils neuesten Erkenntnissen der Gehirnforschung zu folgen. Obwohl dies eine relativ junge Disziplin darstellt, ist es erstaunlich, was wir jetzt schon alles lernen können über den starken Einfluss, den wichtige partnerschaftliche Beziehungen auf die Entstehung von Sinneswahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen ausüben, und auch, wie diese verschiedenen Aspekte sich in Geist und Körper wechselseitig beeinflussen. Im Detail waren wir besonders fasziniert davon, dass enge Beziehungen sogar den wesentlichen Faktor innerhalb der neuropsychologischen Entwicklung darstellen. Wir werden Informationen vom letzten Stand der Neurowissenschaften immer dann einfließen lassen, wenn wir das Gefühl haben, sie können Ihnen beim Verständnis der Mechanismen von Liebesbeziehungen helfen.

Wir teilen außerdem die Ansicht vieler antiker Kulturen, die der heute weit verbreiteten Sichtweise entspricht, dass alles, was ist, miteinander in ständiger Verbindung steht. Wir mögen es vielleicht nicht immer wissen oder fühlen, aber es ist gar nicht möglich, nicht verbunden sein. Es ist unser innerstes Wesen. Wir sind eins mit dem Universum. Beim Schreiben dieses Buches ist uns das große, komplexe Netzwerk von Verbindungen innerhalb einer Ehe noch bewusster geworden. Auf der allereinfachsten Ebene gehen zwei Menschen eine Verbindung ein, wenn sie sich entschließen, ihr Leben nunmehr gemeinsam zu verbringen; jedoch bringt jeder Partner bereits nicht nur seine Verbindung mit dem ganzen Universum mit sich, sondern auch die Verbindung mit seinen vorangegangenen Beziehungen und Erfahrungen; und somit schaffen beide zusammen ein System des Gebens und Annehmens von Liebe, welches sie zudem noch mit ihren Kindern teilen, falls sie welche haben. Und dies ist erst der Anfang. Wir werden noch weitaus mehr Wechselwirkungen, Feedback-Kreise und untereinander verbundene Systeme entdecken auf unserer Suche nach der wahrhaft erfüllenden, bewussten Beziehung, in der beide Partner in gleicher Weise geben wie annehmen können.

Einführung in die Imago-Beziehungstheorie

Gleichgültig, ob Sie bereits viel über die Imago-Beziehungstheorie wissen oder diese gerade neu entdeckt haben, wird es hilfreich sein, ihre wichtigsten Prinzipien kurz in Erinnerung zu rufen.

Unsere Partnerwahl ist keineswegs eine zufällige. Ohne uns dessen bewusst zu sein, suchen wir uns einen Partner, der gewisse Charakterzüge mit einem oder beiden unserer Elternteile gemeinsam hat. Die meisten Menschen zeigen sich über diese Einsicht zunächst sehr erstaunt: „Sie meinen, ich fühlte mich zu meinem Mann hingezogen, weil er meinem Vater ähnlich ist?“ Das kann manchmal etwas schockierend klingen, besonders wenn die Beziehung zum eigenen Vater nicht unbedingt die beste ist. Wenn Sie jedoch in Ruhe darüber nachdenken, können Sie vermutlich die Ähnlichkeit zwischen Ihrem Partner und einem oder beiden Elternteilen (wahrscheinlich dem problematischeren der beiden) deutlich erkennen. Und Sie werden feststellen, dass Ihre Beziehung Ihnen die einmalige Chance bietet, sich mit den Problemen Ihrer Kindheit nochmals auseinanderzusetzen - allerdings diesmal mit einer guten Lösung!

Diese Einsicht - eine fundamentale für die Imago-Therapie - führte zu einem tieferen Verständnis des komplexen Systems von Anziehung und Verbundenheit. In jeder Beziehung weicht früher oder später die anfängliche Verliebtheit einem Machtkampf, in dem die Partner sich mit genau jenen Eigenheiten ihres Partners konfrontiert sehen, die sie schon bei ihren Eltern „in den Wahnsinn getrieben“ haben. Wenn diese Beziehung sich jemals von der romantischen Anfangsphase und dem späteren Machtkampf zu einer reifen, glücklichen Liebesbeziehung entwickeln soll, komme ich nicht daran vorbei, auch die schwierigen Seiten des Partners lieben zu lernen, speziell jene, die eigene - abgelehnte, versteckte oder ins Unbewusste abgewanderte - Charakterzüge widerspiegeln. Und wenn ich versuche, meinen Partner umfassender zu lieben, beginnt dadurch auch ein Heilungsprozess für alle meine eigenen Verwundungen, die aus der Beziehung zu meinen primären Bezugspersonen herrühren.

Obwohl der Prozess, die irritierenden Seiten des Partners lieben zu lernen, sicher nicht einfach ist, kann er auch von den zerstrittendsten Paaren bewältigt werden. Nach zwölf Jahren Therapiearbeit und der gebündelten Erfahrung von mehr als zweitausend Imago-TherapeutInnen können wir mit Sicherheit sagen, dass zwei Menschen, die sich bereitwillig mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und bereit sind, neue Wege im Umgang mit ihren Gefühlen und deren Ausdruck zu lernen, ihre Beziehung auf eine neue, bessere Ebene bringen können. Menschen, die zu diesem Aufwand bereit sind, entdecken bald folgendes „Geheimnis“: Die aufrichtige Liebe zum Partner ist der beste Garant für das eigene persönliche und spirituelle Wachstum.

Die meisten Beziehungen blühen unter dem Einfluss dieser Gedanken - und der damit verbundenen therapeutischen Konzepte - richtiggehend auf. Paare, die diese Erkenntnisse verinnerlicht haben und die von uns angebotenen Übungen anwenden, erleben zumeist eine verblüffende Renaissance ihrer Liebe. Aber es wurde uns auch vermehrt bewusst, dass das Modell der Imago-Beziehungstheorie immer noch erweitert werden musste. Denn selbst wenn manche Menschen gelernt hatten, ihren Partner mit allen seinen Unzulänglichkeiten zu lieben, konnte ihr Partner diese Liebe nicht annehmen. Ihre Beziehung war festgefahren, wenn einer oder beide Partner die positiven Annäherungsversuche des anderen blockierten. Solange nicht eine gesunde Balance zwischen Geben und Annehmen gefunden oder wiedergefunden wird, kommt jeder Fortschritt in der Partnerschaft zum Stillstand. Und das nicht, weil Menschen nicht bereit sind, ihren Beitrag zum Funktionieren der Beziehung zu leisten, sondern weil das bloße Befolgen unserer Therapieanleitungen nicht immer zu einer positiven Transformation führt.

Wir haben die enorme Bedeutung dieses letzten Schrittes - das Lernen, Liebe annehmen zu können - während der Arbeit an unserem Buch So viel Liebe wie du brauchst deutlich unterschätzt. Wir dachten, sobald wir unsere Klienten angeleitet haben, einander das zu geben, was der andere am meisten braucht (und allein dies ist schon schwierig genug!), können wir sie mit unserem Segen in ein Leben voll Glück und Zufriedenheit entlassen. Wer sollte denn Probleme damit haben, die freigebige Liebe seines Partners anzunehmen? Nicht im Traum dachten wir an die Möglichkeit, dass manchen Menschen das Annehmen von Liebe so schwer fallen könnte.

Seitdem haben wir zwar immer wieder einige glückliche Seelen beobachtet, die sogleich aufblühen und heilen, wenn sie erhalten, was sie brauchen. Die meisten von uns haben jedoch immer wieder Probleme mit dem Annehmen von Zuneigung, Lob, Unterstützung, Komplimenten oder Geschenken von anderen. Warum auch immer, wir können diese Seelennahrung manchmal nicht schlucken, verdauen und verwerten. Wir können diese Liebesbissen schmecken, aber wir bringen sie „nicht hinunter“. So wie vielen Menschen mit Nahrungsmittelallergien bleibt uns ein Heißhunger nach dem, was wir nicht verdauen können.

Obwohl die Unfähigkeit, Positives annehmen zu können, in Liebesbeziehungen oft recht offensichtlich zutage tritt, ist sie keineswegs nur ein Beziehungsproblem. Sie ist ein Persönlichkeitsproblem, das überall zum Vorschein kommen kann. Seien Sie bitte aufmerksam dafür, wann Sie das nächste Mal ein Kompliment zurückweisen, ein Geschenk nicht annehmen können oder in Anbetracht eines großen Lobes peinlich berührt sind. Wenn Sie einen Impuls spüren, einem positiven „Input“ auszuweichen, ist dies ein Zeichen, dass auch Sie mit dem „Annehmen“ Ihre Probleme haben. Die folgenden Erläuterungen in diesem Buch werden Ihnen helfen, offener und aufnahmebereiter zu werden, egal, ob Sie in einer Beziehung oder gerade Single sind.

Sollten Sie sich aber in einer Langzeitbeziehung befinden, werden Sie nicht umhin kommen, sich mit diesem ultimativen Hindernis auseinanderzusetzen, um das volle Potenzial Ihrer Partnerschaft auszuschöpfen. Unsere bisherige Arbeit galt vor allem den sehr realen Schwierigkeiten beim Geben von Liebe. Nun ist es an der Zeit, den Kreis zu schließen und uns den überraschenden Problemen
beim Annehmen von Liebe zu widmen.

Wenn Professionelles persönlich wird

Unsere Einsicht, dass Schwierigkeiten beim Annehmen von Liebe sich für viele Paare zu echten Beziehungsproblemen entwickeln, hat sich schrittweise sowohl in unserer beruflichen Arbeit mit Paaren als auch in unserem eigenen Eheleben eingestellt. In den letzten zehn Jahren gewannen wir sowohl durch Harvilles therapeutische Praxis als auch durch Helens wissenschaftliche Studien neue Einsichten im Hinblick auf viele Paare, die zwar anfangs große therapeutische Fortschritte machten, aber an irgendeinem Punkt stecken blieben. Sie hatten wohl gelernt, einander ihre Wünsche und Sehnsüchte mitzuteilen und auch zu erfüllen, aber die Qualität ihrer Interaktion hatte sich nicht verändert. Sie erweckten den Eindruck, als hätten sie keinerlei neue Beziehungsfähigkeiten erlernt. An diesem Punkt halfen keine weiteren Impulse seitens der Therapeuten, um auch nur den kleinsten Fortschritt zu erzielen.

Auch andere Imago-Therapeuten berichteten uns von Paaren, die monatelang beste Fortschritte erzielten, und dann plötzlich - aus unerklärlichen Gründen - steckenblieben. Manche Klienten verschlossen sich beharrlich allen Versuchen seitens ihres Partners oder des Therapeuten, sie zu positiven Interaktionen in ihrer Beziehung zu bewegen. Langsam aber sicher setzten wir Puzzlestein um Puzzlestein zu einem aufschlussreichen Bild zusammen. Viele der hier angeführten Beispiele stammen aus der großen Sammlung von Interviews, die Imago-Therapeuten mit ihren Klienten auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems durchgeführt haben.

In einem faszinierenden - wenn für uns auch schmerzhaften - Prozess von Synchronisation stellte sich weiters heraus, dass viele dieser neuen Erkenntnisse aus unserem eigenen Privatleben hervorgegangen waren. Während der vielen Jahre, in denen wir uns einen internationalen Ruf als „Beziehungsexperten“ aufgebaut hatten, waren wir privat weiterhin in so manche Beziehungsprobleme verwickelt geblieben. Unsere Bücher und Workshops waren für tausende Paare zum Rettungsanker geworden, aber unsere eigene Ehe war dem Ende nahe. All unser mühsam erworbenes Wissen über die Entfaltung einer bewussten Partnerschaft war nicht stark genug, um uns gegen die Kräfte zu verteidigen, die uns auseinanderzogen. Und dies war keineswegs nur schmerzhaft - es war vor allem peinlich.

Wir waren an der Kippe zur Scheidung. Mit großer Trauer mussten wir uns eingestehen, dass wir nicht guten Gewissens anderen Leuten Beziehungstipps geben oder Imago-Therapeuten neues Material präsentieren konnten, wenn wir nicht imstande waren, unsere eigenen Probleme zu lösen. Auf der nächsten Imago-Konferenz gestanden wir offen ein, wie schlecht es um unsere Beziehung stand. Alle bewiesen ein großes Maß an Verständnis für unsere private Situation und wünschten uns von Herzen, dass wir vielleicht doch noch einen Weg finden könnten, unsere Ehe zu retten. Beim Abschied konnten wir all ihre Liebe und ihr Verständnis fühlen. Ihre Reaktion war einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, unserer Beziehung noch eine einjährige, letzte Chance zu geben.

Wir versprachen einander, alles zu versuchen, um herauszufinden, was bei uns falsch gelaufen war, und wie es möglicherweise noch zu retten war. Unsere wichtigsten Vorsätze waren von Beginn an, Negativität in jeder Form aus unserer Kommunikation zu verbannen und stattdessen das Positive herauszustreichen, obwohl wir auch nicht immer wussten, wie das zu schaffen war. Wir wandten uns den grundlegenden Imago-Übungen zu und beobachteten all unsere Interaktionen. Und wir lernten viel davon, zu untersuchen, wie wir mit unseren „Kindheitstraumen“ und unseren Sehnsüchten umgingen. Aus dieser Phase unserer Ehe gibt es eine Begebenheit, die uns als besonders aufschlussreich im Hinblick auf das Hauptthema dieses Buches in Erinnerung blieb: eines Morgens, als wir gerade an einem ziemlichen Tiefpunkt angelangt waren, fragte ich, Helen, Harville: „Glaubst du eigentlich, dass ich dich liebe?“

Harville dachte kurz nach und antwortete dann: „Nein, ich glaube nicht, dass du mich liebst.“ Ich war verblüfft und konnte nichts anderes sagen als: „Nach allem, was ich für dich getan habe, und nach all unseren gemeinsamen Jahren, wie kannst du da nicht wissen, wie sehr ich dich liebe?“

Aber alles, was ich, Harville, in diesem Moment wusste, war, dass ich mich nicht geliebt fühlte.

Gleichzeitig jedoch sagte mir meine innere Stimme der Vernunft, dass meine Gefühle überhaupt keinen Sinn machten. Helen hatte meine Kinder geliebt, hatte unsere Kinder geliebt, sie hatte mich und meine Arbeit in allem unterstützt. Und „zum Dank“ misstraute ich ihrer selbstlosen Liebe und suchte dahinter nach egoistischen Motiven. Ich wollte mir einreden, dass an alles, was Helen mir gab, Bedingungen und Erwartungen geknüpft waren, dass sie alles nur machte, um auch etwas dafür zu erhalten. Schweren Herzens musste ich mir eingestehen, wie sehr ich all ihre Geschenke entwertet hatte. Und nur langsam und mit viel persönlicher Reflexion wurde mir bewusst, dass ich wahre Liebe nicht so annehmen konnte, wie sie mir angeboten wurde.

Dieser Morgen war unser absoluter Tiefpunkt. Wie wir aus dieser Situation wieder herausfanden prägte die hoffnungsvollen und ermutigenden Passagen dieses Buches entscheidend.

Eine ganzheitlichere Art des Wahrnehmens

Als wir begannen, an unserer Ehe zu arbeiten, erkannten wir, dass es hilfreich wäre, über die Voraussetzungen und inneren Überzeugungen zu reflektieren, die jeder von uns in unsere Partnerschaft mitgebracht hatte. Bald gewannen wir den Eindruck, dass ein Teil der belastenden Dynamik, zu der wir beide beigetragen hatten, auf einen Umstand zurückzuführen war, an den wir bisher einfach nicht gedacht hatten. Er stand in Zusammenhang mit der Frage, wie wir uns auf die Imago-Beziehungstheorie und aufeinander als Partner einließen. Wir wussten eine Menge über die Arbeit mit Imago. Wir schrieben Bücher darüber, wir präsentierten sie anderen Menschen, aber wir integrierten sie nicht zutiefst in unser eigenes Leben. Einiges blieb auf einer intellektuellen Ebene hängen und gelangte nicht bis in unser Herz. Da wir mit der Imago-Arbeit auf kognitiver Ebene sehr vertraut waren, hatten wir automatisch angenommen, dass wir sie auch im persönlichen Leben umsetzten. Leider traf das nicht wirklich zu.

Bei ihrer Beschäftigung mit feministischer Psychologie stieß Helen auf einen neuen gedanklichen Ansatz, der sich sozusagen als neuer Durchbruch erwies. Diese Theorie behandelte die verschiedenen Möglichkeiten, wie Menschen Dinge wahrnehmen können, und zwar einerseits das Konzept des Wahrnehmens auf der Sachebene und andererseits das Konzept des Wahrnehmens auf der Beziehungsebene.

Die Theorie besagt, dass es primär zwei Möglichkeiten gäbe, Dinge wahrzunehmen und Neues zu lernen. Das Wahrnehmen auf der Sachebene hat in unserer westlichen Kultur eine lange Geschichte und wurde schon von Sokrates philosophisch untermauert. Diese Art des Wahrnehmens ist linear, zielorientiert und wird oft mit wissenschaftlichen und empirischen Methoden gleichgesetzt. Ein Mensch, der auf der Sachebene wahrnimmt, ist demzufolge unabhängig und steht nicht in Beziehung zu jenem Objekt, das wahrgenommen wird. Er betrachtet dieses Objekt kritisch, um ein besseres Verständnis darüber zu erlangen. Seine innere Haltung lautet: „Nun gut, beweise es. Überzeuge mich.“ Wenn jemand primär auf der Sachebene wahrnimmt, ist sein Zugang zum Verstehen ein eher gegenüberstellender und von Konkurrenzdenken geprägter. Er basiert auf der Annahme, dass eine Gruppe willkürlich gewählter Teilnehmer dazu in der Lage sei, die Realität auf dieselbe und objektive Art zu verstehen und zu beschreiben. Anders ausgedrückt handelt es sich hier um die Behauptung, dass das, was real und wahr ist, unabhängig von jener Person existiert, die es wahrnimmt.

Mit Wahrnehmen auf der Beziehungsebene haben wir es zu tun, wenn eine Person ihre Intuition, ihre Emotionen und ihr Einfühlungsvermögen heranzieht, um Dinge wahrzunehmen. Sie ist nicht unabhängig und sie ist nicht bezugslos. Wer auf der Beziehungsebene wahrnimmt, muss jene Person aktiv bestätigen, die er zu verstehen versucht. Diese Bestätigung ist mehr als der Versuch einfühlsamen Verstehens oder die Unterlassung einer negativen Bewertung. Es ist ein positiver und herausfordernder Akt, wenn wir versuchen, eine andere Person und ihren Standpunkt so umfassend wie nur möglich aufzunehmen und nachzuvollziehen. Die Haltung desjenigen, der auf der Beziehungsebene wahrnimmt, lautet: „Nun gut, ich möchte meine eigenen Bewertungen für eine Minute beiseite schieben und versuchen, deine Welt zu betreten und die persönliche Wahrheit deiner Aussagen nachzuvollziehen.“ Würde man das Konzept der Beziehungsebene nur unvollständig verstehen, könnte man zu der Schlussfolgerung kommen, dass das Wahrnehmen auf der Beziehungsebene die Wahrheit nicht enthüllen kann, weil das Wasser durch persönliche Gefühle, Erinnerungen und Wahrnehmungen getrübt sein müsse. Aber das trifft nicht zu. Im guten Sinne nützt jemand, der auf der Beziehungsebene wahrnimmt, seine Intuition, seine Gefühle und sein Einfühlungsvermögen für einen Erkenntnisprozess, der ebenfalls zu vernünftigen und unabhängigen Bewertungen führt. Anstatt die Welt von einem distanzierten und objektiven Standpunkt aus zu betrachten und zu glauben, dass nur dieser Standpunkt zu einer vorurteilsfreien Sicht der Wahrheit führt, sieht das Wahrnehmen auf der Beziehungsebene die Wahrheit als Prozess an, der sich entwickelt und durch jene Menschen geschaffen wird, die an diesem Prozess beteiligt sind.

In unserer Kultur werden wir vorrangig das Denken auf der Sachebene gelehrt. Die Sprache des objektiven und rationalen Bewertens und logischen Denkens war ausschlaggebend für die Entwicklung der modernen Gesellschaft. Wissenschaft und Technologie stützen sich darauf. Bisher hatten wir keine wirklich adäquate Sprache, um auszudrücken, wie das, was wir spüren, fühlen und als intuitive Einsicht erlangen können, zu unserer Reife und zu unserer Weisheit beitragen. Das Wissen auf der Beziehungsebene hat zwar ebenfalls schon immer existiert und war von wesentlicher Bedeutung, wurde jedoch bisher oft als arme kleine Schwester des rationalen und logischen Denkens angesehen. Glücklicherweise überwinden wir nun endlich diese abwertende Sichtweise und gelangen langsam zu der Ansicht, dass intuitives, vernetzendes und integrierendes Denken eine gleichermaßen gültige Möglichkeit des Wahrnehmens ist.

Ohne Zweifel braucht jeder Mensch beide Arten des Wahrnehmens. Menschen, die sich auf beide Wahrnehmungsweisen stützen, sind offen für neue Perspektiven und fähig dazu, eine neue Art des Verstehens zu erreichen. Sie sind dazu in der Lage auszuwerten, was sie verstanden haben, es in Bezug zu anderen Dingen zu setzen, Probleme zu lösen und in der Folge auch Handlungsschritte zu setzen sowie Lösungen zu finden. Die Fähigkeit, das Wahrnehmen auf der Sachebene und der Beziehungsebene miteinander zu verbinden, steht in direktem Zusammenhang mit der Fähigkeit Liebe anzunehmen. Um Liebe annehmen zu können, müssen Menschen in kognitiver Hinsicht erkennen, dass sie geliebt werden (Sachebene), sowie in ihrem Kopf, Herz und ganzen Körper fühlen, dass sie geliebt werden (Beziehungsebene). Es zu erkennen und zu wissen ist zu wenig.

Den meisten Menschen gelingt es kaum, die Sachebene und die Beziehungsebene in ihrer Wahrnehmung miteinander zu verbinden. Sie stützen sich einseitig auf eine der beiden Arten, ähnlich wie Helen und ich das getan haben. Ihre Fähigkeit, etwas von außen aufzunehmen, das ihnen mehr Ganzheit schenken könnte, ist beschränkt, und so bleiben sie zersplittert, anstatt ihrer Ganzheit näher zu kommen. Menschen, die vorwiegend auf der Sachebene wahrnehmen und sich kaum auf der Beziehungsebene bewegen, sind meist objektiv, distanziert und kaum dazu in der Lage, an den Erfahrungen anderer Menschen teilzuhaben. Sie haben strikte Grenzen. Menschen, die primär auf der Beziehungsebene wahrnehmen und selten auf der Sachebene, haben diffuse Grenzen und verschmelzen mit der Erfahrung von anderen. Sie können ihre eigenen Erfahrungen nicht von jenen anderer Individuen unterscheiden und es fällt ihnen sehr schwer, einen Schritt zurückzutreten und über eine Situation zu reflektieren.
Menschen, die auf der Sachebene wahrnehmen, und Menschen, die auf der Beziehungsebene wahrnehmen, fühlen sich zueinander hingezogen. Wenn sie in Beziehung zueinander treten, ist es allerdings, als würde man zwei Kabel zusammenschließen, während die Hälfte aller Verbindungsstücke fehlt. Es sprühen die Funken, aber es entsteht keine Verbindung.

Für uns beide traf das sicherlich zu. Helen erkannte, dass sie vorwiegend auf der Beziehungsebene wahrnahm, ganz besonders, was unsere Ehe betraf. Sie war so in ihre Gefühle verstrickt, dass sie nicht dazu in der Lage war, unser Problem klar zu sehen, genug Abstand davon zu bekommen, effektiv handeln zu können und die Probleme anzusprechen. Ich hingegen bevorzugte die Sachebene, ging auf Distanz und analysierte und stand daher nicht in Bezug zu dem, was in meiner eigenen Partnerschaft vor sich ging. Jedes Mal, wenn Helen auf der Beziehungsebene auf mich zugehen wollte, versteckte ich mich hinter meinen Fähigkeiten auf der Sachebene. Die Mauer zwischen einem übermäßig emotionalen und nicht-analytischen Partner auf der einen Seite und einem emotional abwesenden, bewertenden Partner auf der anderen Seite schien unüberwindbar.

Glücklicherweise war unsere Zuneigung zueinander größer und stärker als die Mauer, die wir errichtet hatten. Die Thesen über die Sachebene und die Beziehungsebene waren gleichsam ein neuer Durchbruch für uns. Sie schenkten uns jene Sprache, die uns half zu verstehen, was jeder von uns unterdrückt hatte. Es war die Einsicht, die wir brauchten, um die innere Stimme der Gefühle und die äußere Stimme von Logik und Verstand zu erkennen und zu integrieren. Inzwischen glauben wir, dass wir für den Reichtum dieses Konzeptes so empfänglich waren, weil die Imago-Beziehungstheorie in vieler Hinsicht dieselben Erkenntnisse widerspiegelt. Besonders der Imago-Dialog hilft Partnern, sich zu „dehnen“, neue Erfahrungen zu machen und ihre Fähigkeiten für das Wahrnehmen auf beiden Ebenen zu stärken.

Als wir diese Theorien kennen gelernt hatten, tauschten wir uns mit Hilfe des Imago-Dialogs aus, um herauszufinden, wie wir beide Ebenen in unserer Partnerschaft miteinander vereinen konnten. Wir arbeiteten daran, die Spannung zwischen den beiden Ebenen auszubalancieren und ihre Gegensätzlichkeiten miteinander zu vereinen. Nach mehr als 20 Jahren Ehe nahmen wir endlich Dinge voneinander wahr, die eine deutliche Veränderung unserer Verbundenheit und unseres Umgangs miteinander bewirkten. Wahrnehmen wurde zu einem Prozess, der Fühlen und Denken integrierte und uns ermöglichte, uns in der Mitte jener Skala zu treffen, die von „sehr emotional“ bis „rein kognitiv“ reichte. Wir halfen einander, von unserem Extrem wieder abzugehen. Ich, Helen, lernte Probleme zu lösen, und Harville wurde empfänglich für emotionale Inhalte. Es gelang uns, jene Fähigkeiten zurückzugewinnen und zu integrieren, die wir verloren hatten. Unser inneres und unser äußeres Leben stimmten wieder besser überein und wir entwickelten uns Schritt für Schritt zu ganzen und integrierten Persönlichkeiten. Wir steuerten auf eine Versöhnung von Gedanken, Worten und Taten zu, die uns zu einer stärkeren Bewusstheit verhalf.

Bald erkannten wir auch, dass unsere persönlichen Kämpfe hinsichtlich des Gegensatzes zwischen der Sachebene und der Beziehungsebene sich auch in unserer Umgebung widerspiegelten. Wir versuchten herauszufinden, inwieweit unser privates „Aha-Erlebnis“ auch für Imago-Therapeuten und Klienten, die sich abmühten, die Qualität ihrer Partnerschaft zu verbessern, wertvoll wäre. Die Imago-Therapeuten nahmen dieses effektive Werkzeug bereitwillig an. Sie erlebten, wie sie ihre eigenen Impulse in Richtung Sachebene und Beziehungsebene besser steuern und auch ihren Klienten helfen konnten, deren Aufnahmebereitschaft zu steigern. Es wurde dadurch auch möglich, Klienten zu beraten, wie sie erkennen konnten, wenn sie aus der Balance geraten waren. Unsere Erkenntnisse im Zusammenhang mit diesen und anderen Anwendungen für das Wahrnehmen auf der Sachebene und auf der Beziehungsebene stehen noch am Anfang.

Der lange Weg zurück

Während dieses Jahres der Versöhnung und Heilung erfolgte unser Fortschritt nach dem Motto „Drei Schritte vorwärts - einer zurück“. Wir konnten unser bis dahin stagnierendes spirituelles Leben wieder auffrischen, unsere Interaktionen wurden bewusster und sensibler und wir kommunizierten miteinander auf einer tieferen Ebene als je zuvor. Anstatt unser gesamtes Wissen über die Imago-Beziehungstheorie auf der kognitiven Ebene zu belassen, unternahmen wir den anstrengenden Versuch, es zu einem integralen Bestandteil unseres alltäglichen Lebens zu machen. Die von Liebe erfüllte Partnerschaft, die wir in allen unseren Imago-Büchern beschrieben hatten, war nun zur Wirklichkeit für uns geworden. Im Sinne von Gandhis berühmtem Zitat über Veränderung in der Welt waren wir selbst die Art von Partnerschaft geworden, die wir uns für die Welt wünschen.

Mit diesem Buch lösen wir nun unser Versprechen ein, alles offenzulegen, was wir einerseits auf unserer eigenen „Beziehungsodyssee“ und andererseits durch unsere berufliche Arbeit mit Paaren in Krisensituationen gelernt haben. An manchen Stellen in diesem Buch werden wir ganz offenkundig von unseren eigenen Erfahrungen berichten. Aber noch öfter, wenn es um unsere eigene Beziehung geht, werden wir fiktive Namen verwenden, um unsere eigene Privatsphäre intakt zu halten (wie wir das immer tun, wenn wir biographische Details unserer Klienten verwenden). Tief unter allen unseren Erkenntnissen, Rückschlüssen und Empfehlungen liegt somit eine Überzeugung, die darauf beruht, alles selbst durchlebt zu haben.

Wir haben dieses Buch in drei Teile gegliedert: Teil I beschreibt das eigentliche Beziehungsproblem; Teil II ergründet dessen Lösung; und Teil III bietet Übungen, die es Paaren erleichtern sollen, ebendiesen Weg vom Problem zur Lösung zu beschreiten. Fortwährend werden Sie also mitverfolgen, welche Schwierigkeiten andere Paare - ähnlich wie Sie selbst - damit hatten, sich dem Geliebt-Werden zu öffnen. Und Sie werden auch lesen, wie sehr diese Paare sich belohnt und beschenkt fühlten, als es ihnen gelang, diese Schwierigkeiten zu überwinden.

Ein wichtiger Hinweis

Die Lebensgeschichten der Paare, von denen in diesem Buch die Rede sein wird, sind wie Collagen zusammengesetzt aus den Erfahrungen unterschiedlicher Menschen. Alle Zitate und die damit verbundene Psychodynamik entsprechen der Wirklichkeit, andere persönliche Details jedoch wurden geändert, um die Anonymität zu wahren.

Teil I

Das Problem verstehen

1

Nichts ist jemals gut genug

Liebesbeziehungen sind oft nicht das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Allgemein sagt man, dass eine romantische Liebesbeziehung glücklich bleibt, solange das partnerschaftliche Geben großgeschrieben wird. Aber wir sind zu einer anderen Einsicht gelangt. Viel schwieriger ist das Annehmen - die Geschenke des Partners nicht zurückzuweisen. Es ist bestürzend, dass Komplimente, Wertschätzung und Unterstützungsangebote eines engagierten Partners oft keine Resonanz finden. Komplimente werden abgetan, liebevolle Gesten abgewertet und ermutigende Worte treffen auf taube Ohren. Warum nur ist das so?
Und warum wirkt sich dieses allgegenwärtige und dennoch viel zu wenig erforschte Paradoxon der menschlichen Natur auf die Gesundheit der Institution Ehe, auf verbindliche Partnerschaften und auch auf die Lebensqualität in der Gemeinschaft mit anderen aus?

Hinter uns liegt eine jahrzehntelange Odyssee nach den unbewussten Gründen dafür, warum Partner oft nicht imstande sind Liebe anzunehmen. Beginnen wir mit einem Paar, das am Anfang unserer Suche in unsere Praxis gekommen war. Nachdem wir mit George und Mary einige Monate gearbeitet hatten, erkannte George ganz klar, dass Mary mehr Zärtlichkeit brauchte. Er lernte auch, wie er ihr diese Zärtlichkeit zeigen sollte: mit sanfter Stimme zu sprechen, ihr in die Augen zu schauen, sie sanft zu küssen und zumindest zweimal am Tag zu umarmen. Er gab sich alle Mühe der Welt, wuchs über sich selbst hinaus und machte Mary diese Zärtlichkeitsbeweise jeden Tag zum Geschenk.

Und was war ihre Reaktion darauf? Sie wies George zurück. Mary nahm zwar auf der Sachebene die Information wahr, dass George ihr zeigen wollte, dass er sie liebte - aber gefühlsmäßig nachvollziehen konnte sie es nicht.

„Es ist großartig, aber du machst es nur, weil unser Therapeut Harville es dir sagt.“ Oder „Du hast das noch nie zuvor getan, also glaube ich dir nicht, dass du es nun wirklich ehrlich meinst.“ Zu einem gewissen Grad waren diese Einwände berechtigt, denn es stimmte, dass der Therapeut an Georges Veränderung mitbeteiligt gewesen war. Dadurch erschien Mary sein neues Verhalten nicht wirklich authentisch und sie konnte sich eines gewissen Misstrauens nicht erwehren.

Nach einigen Wochen war Marys Widerstand unverändert - und das begann uns nun wirklich zu irritieren. Tat George nicht endlich genau das, was Mary sich immer gewünscht hatte? Ihre Antwort lautete: „Ja, schon, aber es fühlt sich irgendwie nicht richtig an!“

Wir baten Mary, ein wenig in ihren Körper hineinzuspüren, um ihre Gefühle und Empfindungen bewusst wahrzunehmen. „Stell dir bitte eine Situation vor, in der George dir genau die Zärtlichkeit und Zuwendung schenkt, die du dir wünschst. Was fühlst du dabei?“

Mary schloss die Augen und ging in sich. Dann sagte sie: „Ich bekomme Angst.“

Marys Antwort klang zunächst nicht wie eine umwerfend neue Erkenntnis. Für uns aber war sie der Beginn einer ganz neuen, bahnbrechenden Einsicht, warum manche Beziehungen hartnäckig resistent gegen Heilung sind. Wir hatten bisher nicht erkannt, dass wir hier die Spitze eines Problems vor uns hatten, das tief in unserer persönlichen Identität und Beziehungsfähigkeit verwurzelt war. Erst nachdem wir mit weiteren Paaren in ähnlichen Krisen gearbeitet hatten, begannen wir uns zu fragen, ob wir das Phänomen einer Abwehrhaltung gegenüber Lob und Wertschätzung des Partners in seiner Häufigkeit und Bedenklichkeit nicht bisher weit unterschätzt hatten.

Barrieren beim „Empfänger“

Bei sehr unterschiedlichen Partnerschaften haben wir erlebt, dass genau diese Art von Barrieren nicht nur das Annehmen von Liebe verhindert, sondern auch zu großen Enttäuschungen und unter Umständen zur Trennung führen kann. Welche Faktoren spielen mit, wenn einer der Partner guten Willens ist (beispielsweise dank guter therapeutischer Begleitung), Liebe und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen, während der andere sich weiterhin verschließt und diese Geschenke nicht annehmen kann? Wenn der eine endlich so weit wäre, „das Richtige“ zu sagen oder zu tun, aber die Beziehung sich dennoch kaum verbessert, und der Partner sein persönliches Wachstum und Glück nicht zulässt? Anhand solcher Fragen erkennen wir deutlich, welch tiefe Bedeutung und immensen Einfluss nahe Beziehungen auf uns haben - unsere innersten und unverwechselbarsten Wesenszüge werden dadurch geprägt - im positiven wie im negativen Sinn.

Bei allen drei im Folgenden beschriebenen Ehepaaren lernte zwar einer der Partner, dem anderen Wertschätzung und Ermutigung entgegenzubringen, sah sich aber nach wie vor einer unsichtbaren Mauer gegenüber. Ein unüberwindbarer innerer Widerstand ließ Liebe oder Zuneigung kaum zum Empfänger durch

Stan und Suzanne

Stan und Suzanne wuchsen in derselben Nachbarschaft auf und sie leben nach wie vor dort. Fast alle Nachbarn sind Freunde oder Verwandte ihrer beider Familien. Durch sein ruhiges aber tatkräftiges Wesen hat Stan ein sehr kompetentes Auftreten. Man traut ihm sofort zu, dass er Probleme souverän löst und in seinem Beruf als Baustellenleiter den Überblick bewahrt, bis hin zu komplizierten Details. Während Stan offenkundig eine große Begabung dafür hat, sich Zahlen und Fakten zu merken und Probleme mit kühlem Kopf zu analysieren, ist es Suzannes große Begabung, die Gefühle aller an einem Problem beteiligten Personen nachzuvollziehen. Die beiden können einander wunderbar ergänzen, wenn sie gemeinsamen Zielen nachgehen. Im Falle eines Konfliktes konzentriert sich Stan allerdings ganz auf die Tatsachen, während Suzanne sich ganz auf die Gefühle konzentriert - und daraus ergeben sich jede Menge Missverständnisse.

Suzanne ist klein, zierlich und ein kontaktfreudiger Mensch. Nachdem sie mit ihren Zwillingen bis zu deren Einschulung zu Hause geblieben war, begann sie als Angestellte bei einer Versicherung zu arbeiten. Suzanne hatte die Zeit ohne Berufstätigkeit genossen und sie mit kreativer Haushaltsführung gefüllt: sie hatte neue, leckere Rezepte erfunden, Vorhänge genäht und ihr eigenes Gemüse gezogen. Obwohl all diese Aufgaben nicht mit höchster Perfektion erledigt hätten werden müssen, hatte sie sich gut dabei gefühlt, den Standard im Haus so zu halten, wie sie ihn von ihrem eigenen Zuhause her kannte.

Nach zwölf Jahren Ehe kamen Stan und Suzanne zur Therapie, weil Suzanne davon überzeugt war, dass ihr Mann eine Affäre hätte. Untreue schien ihr die einzige Erklärung für Stans schleichenden, jedoch beständigen Rückzug aus ihrer Partnerschaft. Stan konnte trotz vehementer Unschuldsbeteuerungen Suzannes Verdächtigungen nicht ausräumen. Nach einem Jahr voller Schwierigkeiten und einem „Nervenzusammenbruch mitten im Supermarkt“, wie Suzanne selbst es
beschrieb, entschlossen sie sich, Hilfe zu suchen.

Suzanne erzählte dem Therapeuten: „Bei unseren ersten Verabredungen war Stan schrecklich verliebt in mich und las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Aber seit unserer Heirat haben wir Probleme. Wir sind so unterschiedlich. Und wir wissen nicht, wie wir über das reden können, was uns bedrückt. Jetzt streiten wir entweder oder wir vermeiden es so gut als möglich, einander zu begegnen. Stan kommt während der Woche erst spätabends nach Hause und am Wochenende geht er sooft wie möglich mit seinem Bruder und seinen Freunden zum Angeln. Vor kurzem fragte mich einer unserer Söhne, ob ich eigentlich eine alleinerziehende Mutter sei.“

Stan litt sichtlich, als Suzanne das sagte. Es schmerzte ihn zu hören, wie fern er dem Leben seiner Söhne war. Er liebte seine Familie. Er sagte, er würde alles tun, um die Situation zu verbessern. Zu unserer Überraschung jedoch sagte er auch, dass er nicht sicher wäre, dass irgendetwas je helfen könne. Seine Frau war schwer zufrieden zu stellen. Er gestand sogar, dass er sie heimlich „Suzanne, der man es nie recht machen kann“ bezeichnete. Stan wollte Suzanne zwar nicht kritisieren, aber in den zwölf Jahren ihrer Ehe hatte er schrittweise erkannt, dass Suzannes generelle Unzufriedenheit etwas damit zu tun hatte, wie andere Menschen Aufgaben erledigten. Er konnte akzeptieren, dass Suzanne eine Perfektionistin war; dass sie aber auch das Ergebnis jeglicher Unterstützung kontrollierte, war schwer zu verkraften. Obwohl Stan in seinem Beruf als jemand angesehen wurde, der Dinge perfekt erledigte, hütete er sich davor, seine Dienste zu Hause anzubieten. Er wollte einfach nicht kritisiert werden, weil er diese Farbe statt jener oder dieses Material statt jenem verwenden hätte sollen.

Leider kritisierte Suzanne auch Geschenke, die sie von anderen bekam. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Stan ihr manchmal kleine Aufmerksamkeiten mit nach Hause gebracht. Nach einer Weile jedoch verkrampfte er sich immer mehr bei ihrer unvermeidlichen Reaktion: „Es ist ja ganz hübsch, aber ...“ Und dann begann Suzanne zu mäkeln - dass es die falsche Farbe sei oder die falsche Größe, zu extravagant oder mit einem anderen Schönheitsfehler behaftet, den er nicht gesehen hatte. Sie mussten die Rechnung finden und die Dinge gegen etwas eintauschen, das ihrem Geschmack besser entsprach. Wenn Suzanne sagte, „Das wäre aber nicht notwendig gewesen!“, so meinte sie es auch. Und schließlich befand Stan selbst, dass er es nicht mehr nötig hatte, sich kritisieren zu lassen - und stellte seine Geschenke ein.

Trotz dieser abschreckenden Ereignisse war Stan bereit, sich mit Suzanne und mit der Unterstützung eines Therapeuten auf diese Themen einzulassen. Beide waren bereit, ihr Leben zum Besseren zu verändern. Während der nächsten Monate konnten sie die Vorschläge der Imago-Beziehungstherapie beherzigen und eine bewusstere Beziehung aufbauen. Sie lernten, einander ihre Bedürfnisse mitzuteilen. Sie lernten eine Art der Gesprächsführung, in der sie sowohl gehört als auch verstanden wurden. Sie nahmen auch die letzte und wohl schwierigste Hürde, nämlich jene, die Wünsche und Bitten des Partners auch tatsächlich zu erfüllen.

Die bedeutungsvollste Bitte kam von Suzanne: sie wünschte sich von Stan, dass er mehr Energie in ihre Ehe und in ihre gemeinsame Elternschaft steckte. Als sie ihm erzählte, wie einsam sie sich fühlte, stimmte er zu, sich in einigen Punkten zu verändern. Er würde seine Samstage frei halten, um so Zeit mit seinen Söhnen verbringen zu können. Und er fragte seine Frau, ob sie einem Rendezvous nur für sie beide an einem Abend pro Woche zustimmen würde. Suzanne war begeistert von diesen Angeboten. Genau das war es, was sie sich immer gewünscht hatte!

Sie konnte den ersten Samstag, den Stan mit den Jungs verbringen würde, kaum erwarten. Je näher er herankam, desto griesgrämiger wurde sie jedoch. Und am Samstagmorgen war sie ganz verunsichert. Sie konnte das Problem nicht genau auf den Punkt bringen. Es schien sich abzuzeichnen, dass sie immer nervöser wurde, je näher der Moment der Erfüllung ihres Bedürfnisses kam.

Nachdem Stan einen Monat lang die Samstage übernommen hatte, waren die Söhne glücklich - aber Suzanne beschwerte sich unaufhörlich und Stan war der Verzweiflung nahe. Sie verhielt sich so, als ob er immer noch nicht genug, oder zumindest nicht das Richtige, tun würde, und er fühlte sich durch ihre fehlende Wertschätzung wirklich verletzt und mutlos.

Um Stans Gefühle zu verstehen, müssen wir uns anhören, was in Suzanne vorging, als er ihr das gab, worum sie ihn gebeten hatte. Dieses Gespräch fand in der Therapiepraxis statt:

Therapeut:  Beginnen wir mit einem Dialog. Wer möchte als erstes sprechen?
Wie war der erste Monat mit den neuen Verhaltensweisen?
Stan: Ich möchte gerne beginnen (wendet sich an den Therapeuten). Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll ... Ich habe getan, was ich versprochen hatte, aber es ändert einfach nichts. (Der Therapeut leitet Stan an, sich zu Suzanne zu drehen und sie direkt anzusprechen). Du bist noch immer ... wie soll ich sagen ... irgendwie unglücklich. Ich bin am Samstag nicht mit Robert zu meinem Spiel gegangen, damit ich die Jungs zum Training bringen konnte.
Suzanne: (wiederholt, was Stan gerade gesagt hat, um ihm zu zeigen, dass sie alles gehört hat) Du denkst also, ich bin noch immer unglücklich, obwohl du dein eigenes Spiel abgesagt hast, um mit den Jungs zum Training zu gehen. Habe ich dich gehört? (Stan bestätigt, dass Suzanne alles gehört hat, was ihm wichtig ist. Dann fährt sie fort.) Ja, du hast ein Opfer gebracht, aber du bist nicht rechtzeitig vom Einkaufen nach Hause gekommen, um zu kontrollieren, ob sie alles eingepackt hatten, was sie brauchten. Ich musste unterbrechen, was ich gerade getan habe, um das in letzter Minute noch mal zu checken.
Stan: (wiederholt, was Suzanne gerade gesagt hat. Als sie bestätigt, dass er alles gehört hat, was ihr wichtig ist, setzt er fort) Du hast zu mir gesagt, wir sollen um eins wegfahren, und ich war rechtzeitig zu Hause.
Suzanne: Das nennst du rechtzeitig ... Wenn du schon früher mal mit ihnen zum Training gefahren wärst, hättest Du gewusst, dass ich meinte, dass bis um 13 Uhr schon alles vorbereitet hätte sein sollen.
Stan: Du meine Güte ...
Therapeut: (blickt Suzanne und Stan an) Und wie war Ihr Rendezvous am Mittwochabend?
Stan: Ja, stimmt, wir nahmen uns am Mittwochabend Zeit für ein Rendezvous ...
Therapeut: Und wie ist es gelaufen? Was haben Sie miteinander unternommen?
Stan: (zu seiner Frau) Warum erzählst nicht du es ihm?
Suzanne: Ich habe Stans Bemühen wirklich geschätzt. Ehrlich.
Stan: Aber?
Suzanne: Ich hatte vorgeschlagen, dass wir zum Griechen gehen. Dort ist es ruhig und ich dachte, wir könnten gut reden und einen schönen Abend haben. Aber Stan reservierte einen Tisch in einem Fischrestaurant in der First Avenue. Es stellte sich als überfüllt und sehr laut heraus. Wenn ich ehrlich bin, irritierte mich das schrecklich. Wir sind schließlich keine Teenager mehr. Ich finde, wir gehen so selten miteinander aus, warum musste Stan nur so ein schäbiges Restaurant auswählen?
Therapeut: (an Suzanne gerichtet) Es klingt, als wären Sie enttäuscht von dem Lokal gewesen, das Stan ausgewählt hatte. Stimmt das?
Suzanne: Ja.
Therapeut: Möchten Sie mir mehr darüber erzählen? Darüber, wie Stan sich bemüht hat, einen ganz besonderen Abend zu organisieren.
Suzanne: Ich habe wahrgenommen, dass Stan sich wirklich Mühe gab, aber ich hätte mir gewünscht, dass er sich im Vorfeld mehr Gedanken darüber gemacht hätte.
Stan: Und ich hätte mir gewünscht, dass du mein Bemühen mehr wertschätzt. Was hat es sonst für einen Sinn, dass ich mir überhaupt Mühe gebe?

Man braucht kein Therapeut sein, um zu erkennen, dass Suzanne die positiven Ambitionen ihres Ehemannes nicht anerkennen konnte. Auf der Sachebene erkannte sie, dass er sich Mühe gab, ein liebevoller Partner und Vater zu sein. Aber sie konnte sein liebevolles Handeln nicht so in ihre Gefühlswelt integrieren, dass sie sich wirklich geliebt fühlte. Stan wiederum hörte zwar, dass Suzanne sagte, dass sie seine Bemühungen wertschätzte, aber er hatte nicht den Eindruck, dass sie das tatsächlich tat. Er hatte das Gefühl, dass ihre Unzufriedenheit ihre Wertschätzung überlagerte. Seine Versuche, sie glücklich zu machen, stießen auf eine Mauer des Widerstands. Es sah so aus, dass das Erfüllen jener Dinge, die der unzufriedene Partner verlangte, nicht ausreichte, um die ständig präsente Negativität in ihrer Partnerschaft zu verändern.

Stan wollte nicht mit einer „Nörgeltante“ zusammenleben. Niemand von uns würde das wollen. Uns selbst zu kritisieren gelingt uns im Normalfall sehr gut ohne Unterstützung von außen. Wenn man vom Partner permanent kritisiert wird, steigert die Frustration sich leicht zu Zorngefühlen. Manche Menschen nehmen den Ärger des Partners einfach hin und glauben, ihr Partner habe recht damit, dass sie inkompetent seien und ihre Aufgaben nicht erfüllen könnten. Andere richten ihren Ärger nach außen und werfen ihrem Partner vor, dass es unmöglich sei, ihm zu gefallen. So beginnt ein Kreislauf von Angriff und Gegenangriff oder Angriff und Rückzug. Ohne ein tieferes Verständnis dafür, was diese feindselige Mentalität ankurbelt, wird der Kampf immer schlimmer. Man erreicht den Punkt, wo schon der kleinste Vorschlag eine Lawine an belastenden Reaktionen auszulösen imstande ist.

Nachdem ihr Therapeut sich monatelang Mühe mit Stan und Suzanne gegeben hatte, dachte er, dass die beiden offenbar in die Kategorie der „schwierigen Fälle“ fielen, deren versteckte Widerstände auf ewig ein Geheimnis bleiben könnten. Da wir aber mit anderen Paaren ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, erkannten wir langsam das Muster, das sich dahinter verbarg.

Alex und Rena

Wenn man Rena begegnet, ist man von ihrer Schönheit beeindruckt. Sie ist groß, hat dunkles Haar und ist eine exotische Schönheit. Rena entwirft ihre Kleidung persönlich und trägt geschmackvollen Schmuck. Sie hatte einige Jahre als Grafikerin gearbeitet und dann beschlossen, Design zu studieren. Ihr Ehemann Alex ist ebenso groß wie sie, sieht gut aus und hat ein perfektes, wenn auch konservatives Auftreten, wie es seinem Beruf als Universitätsprofessor entspricht. Wer auch immer dieses Paar miteinander sieht, durchschaut rasch, dass sich hier entweder starke Gegensätze angezogen haben oder ein Wettstreit gegensätzlicher Meinungen ausgetragen wird. Alex’ berufliche Laufbahn machte ihn zu einem Experten in punktuellem Denken auf der Sachebene, während Renas künstlerische Persönlichkeit sich darin äußerte, dass sie eine vernetzend denkende Frau war, deren Stärken auf der Beziehungsebene lagen und die ihre analytischen Fähigkeiten dadurch tendenziell vernachlässigte.

Nach vier Jahren des Zusammenlebens hatte sich ihre große Leidenschaft in einen großen Machtkampf verwandelt. Alex und Rena kritisierten einander ständig. Rena fühlte sich in ihrer Ehe sehr eingeengt: „Alex wusste, wer ich war, als er mich heiratete. Meine Kunst ist sehr wichtig für mich und ich hatte gedacht, dass er gerade das an mir liebte.“ Dann zitierte sie den schwedischen Regisseur Ingmar Bergmann: „Ich schaffe nicht Kunstwerke, um zu leben, sondern ich lebe, um Kunstwerke zu schaffen.“

Alex erklärte, dass er die Kreativität seiner Frau und ihr originelles Wesen liebte, aber sich auch nach ihren „normalen Seiten“, wie er es nannte, sehnte. In einer der ersten Sitzungen fragte er Rena verzweifelt: „Warum können wir nicht öfter gemeinsam zu Abend essen? Warum herrscht in unserem Haus ständig so eine Unordnung? Warum kannst du dich nicht zu mir setzen und manche Dinge mit mir planen?“

Eine gewisse Ordnung und Voraussagbarkeit war für Alex auch deshalb wichtig, weil er zwei Kinder aus erster Ehe hatte und die Besuchskontakte mit ihnen koordinieren wollte. Er warf Rena vor, dass sie sich keine Mühe gab, wenn die Kinder zu ihnen auf Besuch kamen. Wenn ihr die Kinder nicht von Herzen willkommen waren, was Alex bedauerte, so konnte sie zumindest ein wenig Zeit mit ihnen verbringen und so tun, als ob sie sich freute, wenn die Kinder da waren.

Nach einigen Monaten Therapie waren Alex und Rena imstande, besser in ihrer Partnerschaft zu kommunizieren und zu verhandeln. Rena war einsichtig, was Alex’ Sehnsucht nach mehr Organisation und Voraussagbarkeit in seinem Lebensalltag betraf. Um ihm Freude zu machen, erklärte sie sich bereit dazu, mehr mit seinen Kindern aus erster Ehe zu unternehmen. Und sie erklärte ganz konkret, wann und wo sie bereit dazu war, manche Haushaltspflichten zu übernehmen. Um das Putzproblem zu lösen, organisierte sie eine Studentin, die einmal pro Woche beim Putzen half. Ihr größtes Entgegenkommen allerdings bestand darin, dass sie öfter ein Abendessen für Alex und sich kochte. Wenn Rena so darüber nachdachte, wie sie auf die Bitten ihres Ehemannes reagiert hatte, gab sie sich selbst eine „Eins plus“.

Alex jedoch war keineswegs begeistert. Er konzentrierte sich weiterhin auf das, was er noch vermisste. In seiner Darstellung betonte er weiterhin, was schlecht lief, anstatt was gut lief. Was die drei Abendessen betraf, die Rena in der Woche zuvor für alle gekocht hatte, beklagte er sich, dass sie nicht mit ganzem Herzen bei der Sache gewesen war: „Sie macht es nur, weil es einer ihrer Therapievorsätze ist.“ Und es beeindruckte ihn auch nicht, wie gut sie es organisierte, dass das Haus geputzt wurde: „Sie kauft einfach eine Lösung, damit es ihr möglich ist, weiterhin so viel Zeit wie bisher in ihrem Atelier zu verbringen.“ Alex wurde das Gefühl einfach nicht los, dass Rena nur halbherzig und aus Pflichtgefühl handelte, anstatt ihre Prioritäten wirklich zu verändern.

Als Rena das hörte, hob sie theatralisch ihre Hände und klagte: „Ich gebe auf! Was willst du noch von mir? Möchtest du mir das Blut aus den Adern saugen?“ Obwohl Rena nicht alle von Alex’ Bitten erfüllt hatte, hatte sie sich doch ein beträchtliches Stück weit in seine Richtung bewegt. Seine negative Reaktion brachte sie zum Verzweifeln.
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